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Deutsche Rundschau.
sie gut sein soll! Ansänger, die Talent besitzen, sollten strenggenommen nie Novellen schreiben. Fast jeder Anfänger — und der begabteste erst recht — beginnt mit Gedankenfülle und Ueberfluß der Leidenschaft und daneben mit nothwendigem Mangel an formaler Uebung, an Prägnanz der Wiedergabe dessen, was er innerlich schon besitzt. Die Novelle aber ist die erwählte Knnstform der höchsten künstlerischen Reise — wenn das soeben Gesagte nicht zu schwarz sieht, schon mit einem kleinen Stich zur Resignation, zur Ueberreise. Als solche wollen wir sie verehren und vertheidigen, aber wir wollen nicht blind dafür sein, daß ein großer Theil der bitteren Anklagen, die in neuerer Zeit gegen die ungeheure Novellenfluth des Tages erhoben worden sind, nur zu berechtigt ist.
Die drei Novellensammlungen, die ich besprechen will, streben wie die Richtungen der Windrose auseinander. Sie vergegenwärtigen drei vollkommen verschiedene Stilarten mit annähernd gleicher Vollkommenheit. Und sie vergegenwärtigen sie um so deutlicher, als jede ein Strauß ist, in dem doch jede Blüthe unverkennbar derselben Ordnung angehört. Hans Hopfen vertritt einen Typus, den ich mit einigen sogleich zu gebenden Einschränkungen die „deutsche" Novelle nennen möchte. Die Novelle der Margarethe von Bülow, vorhanden in mehreren unter sich sprechend ähnlichen Proben, ist mit voller Energie des berechtigten Nacheiferns die Turg enj ew Zche. Die Florentiner Studien der Isolde Kurz endlich führen einmal wieder vor die Frage der historischen Novelle. Lauter Brennpunkte wichtiger ästhetischer Kapitel, wie man sieht, ein heißes Ringen nach dem Pol von drei Seiten aus, und auf allen drei Pfaden, wie sich wohl zeigen läßt, Triumphe und Wunden, die den Preis unentschieden machen, zumal da Besonderes fast persönlicher Art hinzutritt, das wir nicht übersehen dürfen.
Wenn ich Hans Hopsen's Schreibweise kurzweg als „deutsche" bezeichne, so soll das nicht etwa den Werth der anderen Dichtungen als Erzeugnisse deutscher Kunst antasten; es soll nicht einmal im ganzen Umfange ein lobendes Beiwort sein. Hopsen ist in jeder Faser Schüler von Keller. Bei Keller muß man die speeisisch deutsche Novelle, die ich meine, als Typus sich herausschälen, dann erkennt man sie immer wieder. Während der deutsche Roman mächtig und immer mächtiger vom Auslande beeinflußt worden ist, hat sie eine ganz und nur heimische Wurzel wie die Lyrik unserer Romantiker, wie die Schreibart unseres Jean Paul. Man braucht nur an die letztere zu erinnern, um sich vor optimistischen Uebertreibungen zu hüten, als wenn das Deutscheste in der Literatur schlechthin immer das absolut Beste gewesen wäre, und man hat ja die Kehrseite an Goethe. Die Art, wie eine Novelle des genannten Typus — wir wollen im Weiteren jetzt bei Hopsen bleiben — einsetzt, wie der Erzähler sich in sein Thema hineinfindet, ich möchte sagen, das Gesicht, das er beim Vortrage macht, wird niemals ein Franzose oder Russe auch nur annähernd gleich herausbringen. Das hebt an mit einer weitschweifigen Gemüthlichkeit, ohne daß man weiß, wohin es will; das erweckt durch den Tonsall Herzenswärme, lange ehe das innere Auge Bilder bekommt; das kann beim besten Willen niemals grell, nackt, bitter werden, und führte auch der Stoff noch so sehr in die Nacht. Zum Theil Ursache davon und jedenfalls eine Hauptsache im Ganzen ist: der Erzähler liebt seine Leser; er will sie weder ärgern noch überraschen, sondern er will sie angenehm unterhalten, — und noch mehr, er liebt seine Helden. Für die schönen Frauen, die er vorführt, schwärmt er selbst. Man hat bei Hopsen das Gefühl, daß eine merkwürdige, irgendwie packende Frau in der Mitte seines Bildes stets Ausgangspunkt seiner ganzen Erfindung gewesen ist. Von ihr strahlt das Licht aus, sie erfüllt das Kunstwerk bis in jede Faser mit ihrem Geiste oder wenigstens mit ihrem Parfüm; die Männer sind von Beginn an Nebenfiguren und werden alle stark nach einer Schablone gearbeitet. Die Handlung ist erschöpft, wenn der Frauencharakter vollkommen klar ausgemält ist; um den Abschluß, um die Lösung des Knotens ist die naive Burschikosität des Vortrags keinen Augenblick verlegen. Legt man das Buch aus der Hand, so fühlt man seltsame Gesühls- asiociationen, die mit der Fabel nicht das Geringste zu schaffen haben: man bewun-