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Deutsche Rundschau.
H. Ariosto als Satiriker und italienische
Porträts. Von Siegfried Samosch.
Minden i. Wests., I. C. C. Bruns' Verlag.
1891.
Unter den Schriftstellern, welche mit Erfolg bemüht sind, die literarischen Beziehungen zwischen Deutschen und Italienern immer lebendiger zu machen, verdient Siegfried Samosch mit besonderer Anerkennung und Achtung genannt zu werden. Er ist ein aufrichtiger Freund Italiens, der das Land und das Volk auf vielfach wiederholten Reisen sehr genau kennen gelernt hat, an seinen Schicksalen den Antheil des Herzens nimmt und über seiner schwer errungenen Freiheit und Selbständigkeit mit fast eifersüchtigem Auge wacht. Daß er sich mit Vorliebe der Entwicklung dieses neuen Italiens zuwendet, ist ebenso natürlich, als daß er darum den Zusammenhang mit dem älteren nicht aus dem Auge verliert, der die Voraussetzung und Bedingung des gegenwärtigen besseren Zustandes ist. Es geschah sicher, um diese Continuität anzudeuten, daß Samosch in seiner ersten hierhergehörigen Publication, den „Italienischen Profilen", die Studie über „Machia- velli als Comödiendichter" und in der zweiten hier vorliegenden, den „Italienischen Profilen", die Essays über „Ariosto als Satiriker" und über „Torquato Tasso" vorangestellt hat. In diesen Arbeiten legitimirt sich Samosch als wohlbewandert in der classischen Literatur der Italiener, aus der Zeit, wo die Literatur ihr einziges nationales Band war; und daraus ergibt sich sein Standpunkt den Modernen gegenüber, denen er auch diesmal den weitaus größeren Theil seines Bandes gewidmet hat. Denn auch Giacomo Leopardi gehört zu diesen, der große Dichter der pessimistischen Weltanschauung, die trotzdem kein Ideal ausschloß und am höchsten das des Vaterlandes stellte — dieses Vaterlandes, dem zugleich sein Zorn und seine Liebe galt, seine bittere Verachtung, sein tiefster Schmerz. Dadurch tritt Leopardi an die Spitze der literarischen Bewegung, die sich unmittelbar nach der Erhebung Italiens bemerkbar macht und es in der kurzen Zeit seitdem bereits zu erstaunlichen Resultaten gebracht hat. Sehr schön deutet dies Alles Samosch in seinem Buch an, und in den Porträtskizzen Einiger aus der Schar des jungen Italiens, die nun folgen, muthet uns ebenso die feine Zeichnung, wie ein gewisses persönliches Element an, das ihnen erhöhten Reiz verleiht. Er hat seinen Band GiosrU Car- ducci, dem unvergleichlichen Dichter der „oüo dnrdari", zugeeignet; Salvators Farina, den Lesern dieser Zeitschrift ein lieber Bekannter, und Antonio Fogazzoro, der es zu sein nicht minder verdiente, haben dem Verfasser ihren Lebenslauf selbst beschrieben, und der Vater Matilde Serao's war es, der ihm in anmuthigster Weise von Kindheit und Jugend der Tochter erzählte. Wir messen diesen literarischen Bestrebungen einen hohen politischen Werth bei, der in Italien völlig begriffen wird; und wenn dort auch die Zahl der Gebildeten, die daran Theil nehmen, vielleicht nicht so groß
sein mag, wie bei uns, so sind es doch die Besten der Nation, ihre führenden Männer, die dem deutschen Geist ein immer wachsendes Verständniß entgegenbringen und in der Verbrüderung mit ihm die sicherste Bürgschaft für die Zukunft des eigenen Landes sehen.
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Illdrairio aoaäömigua Oiclior. 1890.
Vielleicht kommt ein Tag, wo der junge französische Idealismus seine Muster in Deutschland suchen geht. E. de Morsier würde ihm als Führer dienen können. Er war Jahre lang bei uns zu Gast; er hat sich wohl unter uns befunden; er hat unfern Volkscharakter und unsere Literatur schätzen gelernt. Wenn man sich gemüthlich fühlen wolle, müsse man in Deutschland leben; dem Lande, wo das Gespräch harmlos und die Neigungen tief seien; wo der Gedanke sich entfessele in all seiner Freiheit und Fruchtbarkeit, ohne Schaden anzurichten — denn wie weit hier der Abgrund zwischen Meinung und That! — dem Lande, wo es noch echte Liebe gebe und „Romantik" und Mondscheinnächte. Morsier überträgt seine Sympathie für unsere Heimath auf unsere Schriftsteller. Was dem Fremden ohne Zweifel zunächst schwer fällt: er versteht den idyllischen Reiz des deutschen Kleinstadtlebens; er bewundert den melancholischen Humor eines Raabe, und wie ihm Freytag's Gestaltungskraft und Gesinnungstüchtigkeit Respect einflößt, so weiß er die Grazie Heyse's und den Schwung Spielhagen's zu schätzen. Den Letzteren bestaunt Morsier eigentlich am meisten: hebt einen „Zeitroman", wie „Problematische Naturen" oder „Sturmfluth", über Alles, was sonstige deutsche Autoren auf diesem Gebiete geschaffen; aber auch über die Pariser Erzeugnisse mit ihrer Feinheit, Schärfe, Kälte; mit ihrem „Realismus". Wir Germanen, „gesondert, ungemischt und nur uns selber gleich", fühlen uns gern als die Mißverstandenen. Wo nun ein Fremder ernsthaft und erfolgreich in unsere Eigenart sich einzuleben sucht, vermitteln möchte zwischen uns und seinem Volke: da werden wird ihm Gruß und Anerkennung nicht versagen, auch wo unsere Urtheile von den sei- nigen abweichen. Zumal wem: er Franzose ist; denn in Frankreich ein Buch wie das vorliegende zu schreiben, mag einen gewissen Math immerhin erfordern.
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^.näl'6 Uebon. karis, klon, l^ourrit 6t Eoinv.
1890.
Andrö Lebon, Professor an der freien Schule der politischen Wissenschaften, entwickelt unter dem oben angegebenen Titel seine Ansichten über die Ursprünge der deutschen Verfassung, den Reichstag, die kaiserliche Gewalt, die preußischen Einrichtungen und das heutige Elsaß-Lothringen. Er will Deutschland weder herabsetzen, was zwar viele Franzosen aus Grimm über die 1870 erlittene Niederlage thun, was aber nach seiner Meinung ebenso erbärmlich als einfältig ist; noch will er es zu sehr erheben, weil die Thatkraft seines Volkes da-