Issue 
(1891) 66
Page
476
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

476

Deutsche Rundschau.

H. Ariosto als Satiriker und italienische

Porträts. Von Siegfried Samosch.

Minden i. Wests., I. C. C. Bruns' Verlag.

1891.

Unter den Schriftstellern, welche mit Erfolg bemüht sind, die literarischen Beziehungen zwi­schen Deutschen und Italienern immer lebendiger zu machen, verdient Siegfried Samosch mit besonderer Anerkennung und Achtung ge­nannt zu werden. Er ist ein aufrichtiger Freund Italiens, der das Land und das Volk auf vielfach wiederholten Reisen sehr genau kennen gelernt hat, an seinen Schicksalen den Antheil des Herzens nimmt und über seiner schwer errungenen Freiheit und Selbständigkeit mit fast eifersüchtigem Auge wacht. Daß er sich mit Vorliebe der Entwicklung dieses neuen Italiens zuwendet, ist ebenso natürlich, als daß er darum den Zusammenhang mit dem älteren nicht aus dem Auge verliert, der die Voraus­setzung und Bedingung des gegenwärtigen bes­seren Zustandes ist. Es geschah sicher, um diese Continuität anzudeuten, daß Samosch in seiner ersten hierhergehörigen Publication, denIta­lienischen Profilen", die Studie überMachia- velli als Comödiendichter" und in der zweiten hier vorliegenden, denItalienischen Profilen", die Essays überAriosto als Satiriker" und überTorquato Tasso" vorangestellt hat. In diesen Arbeiten legitimirt sich Samosch als wohlbewandert in der classischen Literatur der Italiener, aus der Zeit, wo die Literatur ihr einziges nationales Band war; und daraus er­gibt sich sein Standpunkt den Modernen gegen­über, denen er auch diesmal den weitaus größeren Theil seines Bandes gewidmet hat. Denn auch Giacomo Leopardi gehört zu diesen, der große Dichter der pessimistischen Weltanschauung, die trotzdem kein Ideal aus­schloß und am höchsten das des Vaterlandes stellte dieses Vaterlandes, dem zugleich sein Zorn und seine Liebe galt, seine bittere Ver­achtung, sein tiefster Schmerz. Dadurch tritt Leopardi an die Spitze der literarischen Be­wegung, die sich unmittelbar nach der Erhebung Italiens bemerkbar macht und es in der kurzen Zeit seitdem bereits zu erstaunlichen Resultaten gebracht hat. Sehr schön deutet dies Alles Samosch in seinem Buch an, und in den Por­trätskizzen Einiger aus der Schar des jungen Italiens, die nun folgen, muthet uns ebenso die feine Zeichnung, wie ein gewisses persön­liches Element an, das ihnen erhöhten Reiz verleiht. Er hat seinen Band GiosrU Car- ducci, dem unvergleichlichen Dichter deroüo dnrdari", zugeeignet; Salvators Farina, den Lesern dieser Zeitschrift ein lieber Bekannter, und Antonio Fogazzoro, der es zu sein nicht minder verdiente, haben dem Verfasser ihren Lebenslauf selbst beschrieben, und der Vater Matilde Serao's war es, der ihm in anmuthigster Weise von Kindheit und Jugend der Tochter erzählte. Wir messen diesen lite­rarischen Bestrebungen einen hohen politischen Werth bei, der in Italien völlig begriffen wird; und wenn dort auch die Zahl der Gebildeten, die daran Theil nehmen, vielleicht nicht so groß

sein mag, wie bei uns, so sind es doch die Besten der Nation, ihre führenden Männer, die dem deutschen Geist ein immer wachsendes Verständniß entgegenbringen und in der Ver­brüderung mit ihm die sicherste Bürgschaft für die Zukunft des eigenen Landes sehen.

7 r^/S. Koinuneikvs Ultzinniuls (lontampo-

rr»n8. kur kltlouurä clo Normer. ?ari8,

Illdrairio aoaäömigua Oiclior. 1890.

Vielleicht kommt ein Tag, wo der junge französische Idealismus seine Muster in Deutsch­land suchen geht. E. de Morsier würde ihm als Führer dienen können. Er war Jahre lang bei uns zu Gast; er hat sich wohl unter uns befunden; er hat unfern Volkscharakter und unsere Literatur schätzen gelernt. Wenn man sich gemüthlich fühlen wolle, müsse man in Deutschland leben; dem Lande, wo das Gespräch harmlos und die Neigungen tief seien; wo der Gedanke sich entfessele in all seiner Frei­heit und Fruchtbarkeit, ohne Schaden anzu­richten denn wie weit hier der Abgrund zwischen Meinung und That! dem Lande, wo es noch echte Liebe gebe undRomantik" und Mondscheinnächte. Morsier überträgt seine Sympathie für unsere Heimath auf unsere Schriftsteller. Was dem Fremden ohne Zweifel zunächst schwer fällt: er versteht den idyllischen Reiz des deutschen Kleinstadtlebens; er be­wundert den melancholischen Humor eines Raabe, und wie ihm Freytag's Gestaltungs­kraft und Gesinnungstüchtigkeit Respect einflößt, so weiß er die Grazie Heyse's und den Schwung Spielhagen's zu schätzen. Den Letzteren bestaunt Morsier eigentlich am meisten: hebt einenZeitroman", wieProblematische Naturen" oderSturmfluth", über Alles, was sonstige deutsche Autoren auf diesem Gebiete geschaffen; aber auch über die Pariser Erzeug­nisse mit ihrer Feinheit, Schärfe, Kälte; mit ihremRealismus". Wir Germanen,ge­sondert, ungemischt und nur uns selber gleich", fühlen uns gern als die Mißverstandenen. Wo nun ein Fremder ernsthaft und erfolgreich in unsere Eigenart sich einzuleben sucht, vermitteln möchte zwischen uns und seinem Volke: da werden wird ihm Gruß und Anerkennung nicht versagen, auch wo unsere Urtheile von den sei- nigen abweichen. Zumal wem: er Franzose ist; denn in Frankreich ein Buch wie das vorliegende zu schreiben, mag einen gewissen Math immer­hin erfordern.

L 1 u<l 68 8 ur 1'^11«N1UAN6 pollliciutz. kur

^.näl'6 Uebon. karis, klon, l^ourrit 6t Eoinv.

1890.

Andrö Lebon, Professor an der freien Schule der politischen Wissenschaften, entwickelt unter dem oben angegebenen Titel seine An­sichten über die Ursprünge der deutschen Ver­fassung, den Reichstag, die kaiserliche Gewalt, die preußischen Einrichtungen und das heutige Elsaß-Lothringen. Er will Deutschland weder herabsetzen, was zwar viele Franzosen aus Grimm über die 1870 erlittene Niederlage thun, was aber nach seiner Meinung ebenso erbärm­lich als einfältig ist; noch will er es zu sehr erheben, weil die Thatkraft seines Volkes da-