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Deutsche Rundschau.
ristik seiner hervorragendsten französischen Vertreter zur Anschauung zu bringen: es enthält Betrachtungen über Bayle, Fontenelle, Lesage, Marivaux, Montesquieu, Voltaire, Diderot, Rousseau, Busfon, Mirabeau und Andre Chenier. Der Titel wäre demnach richtiger so gefaßt worden.- ciix-üuitieine sioolo eu Kranes; von England und Deutschland, die doch sozusagen beim 18. Jahrhundert auch in Betracht kommen, ist keine Rede. Abgesehen von dieser Beschränkung des Inhalts und der Tragweite seiner Erörterungen, verdient das Buch gewiß viel Anerkennung. Im Vorwort betont Faguet, daß das Frankreich des 17. Jahrhunderts französisch und christlich war: das 18. aber ist weltbürgerlich und unchristlich; seine Religion ist die der Vernunft und des Gefühls, abgesehen von den Vertretern des „reinen 18. Jahrhunderts" vom Schlage Holbach's, welche es verschmähten, dem Dienste des christlichen Gottes nur deshalb entsagt zu haben, um einen andern anzunehmen. Diese allgemeinen Gesichtspunkte werden nunmehr aus den einzelnen Schriftstellern erwiesen, welche die geistige Führung der Nation im 18. Jahrhundert hatten. Der erste ist Bayle, welcher alle Vorurtheile zerstört, nichts übrig läßt als die Vernunft und erklärt, daß auch sie zu nichts führt. Gleichwohl haben seine Schüler aus der Vernunft einen neuen Glauben gemacht: aus dem Verächter der Menschheit entnahmen sie Gründe dafür, daß die Menschheit sich selbst anbeten müsse, weil außer ihr nichts mehr vorhanden ist — eine lächerliche, aber ganz natürliche Folgerung. Auf Bayle folgt Fontenelle, ein mittleres Talent, das die schwersten Fragen mit gleichgültiger Gebärde aufgeworfen hat: seine Arbeit ist die Aussaat der Drachenzähne. An Lesage kommt zum Ausdruck, wie der Fall beginnt, wie die Abschwächung der religiösen Ideen ein moralisches Sinken zur Folge hat; Lesage steigt nur eine Stufe herab; aber Andere werden die unterste Sprosse erreichen; man sieht den Weg, welcher zu tu Uuesils führt. Marivaux ist der originellste französische Komiker seit Molisre bis zu den Zeiten von Beaumarchais; man denkt an Racine, aber an einen, welcher die Schule Fontenelle's durchlaufen hat. Montesquieu ist ein gewaltiger Geist, welcher solchen Einfluß geübt hat, daß Frankreich sich lange nach seinen Gedanken hat organifiren wollen, und daß man heute noch, wo es sich doch ganz anders entwickelt hat, zu fragen Anlaß hat, ob Montesquieu nicht Recht hat gegen die Geschichte. Voltaire wird unter den Gesichtspunkt gestellt, daß er ein echter französischer Bourgeois aus der Zeit der Regentschaft ist, also kein Künstler, kein Philosoph, kein Ritter, aber sehr praktisch; er macht mit seinem Esprit sein literarisches Glück: und heute noch bezaubert er selbst die, welche ihn nicht leiden mögen. Diderot ist im Leben der Typus des Kleinbürgerthums; er vertritt den Individualismus des 18. Jahrhunderts, der sich auf Alles erstreckt und Alles zerstört — vielleicht ohne es zu wollen. Rousseau hat seine Bedeutung darin, daß er alle Traditionen ohne Ausnahme zerstört hat, nicht bloß die religiöse, sondern auch die nationale. Busson
ist voll großer Empfänglichkeit für die Natur; er hat die Geschichte derselben geschaffen; man nennt hier immer nur Rousseau, aber Busfon ist Derjenige, welcher die wahre Majestät der Natur weit mehr gefühlt hat. Mirabeau war trotz aller Fehler ein großer Staatsmann, ein großer politischer Denker und fast auch ein großer Bürger. Endlich Andre Chenier ist der letzte elastische Dichter, welcher zu den Quellen emporstieg; seit Racine war etwas Aehnliches nicht mehr dagewesen; in ihm werden die Alten in Wahrheit wieder lebendig, x/st. I'etits Inuckis. Kotos cle eritique pur ^ntonin Lunanä. Inaris, Indruirio aea- cleinique Diäisr. 1890.
Die literarische Mode scheint in Frankreich zu wechseln. Von den jüngeren Schriftstellern erklärt einer nach dem anderen den Idealismus für seine Losung. Schon Bourget's psychologische Analysen sind mehr fein und gedankenkräftig als gerade lebenswahr; an eine Geschichte wie etwa die seines „viseiple" glauben wir genau so lange, als seine darstellende Kraft uns bannt. Aber es gibt bereits geistvolle Franzosen, denen die Beleuchtung der seelischen Abgründe unheimlich vorkommt, gefährlich für die Moral. Strebt man zurück an die besonnte Oberfläche? Wird der Classicismus einmal wieder jung? Morice sucht das Höchste der Kunst „in der Luft des Absoluten"; die „Symbolisten" vereinigen hochgespannte formelle Ansprüche mit religiösen Anwandlungen. Es wird viel vom Glauben geredet, viel von der Tugend. Unter Anderem über diese neuen Kunstrichtungen handelt der Verfasser in vorliegendem Werke. Es ist eine Sammlung von Skizzen, übrigens vermischten Inhalts, die vom November 1888 bis zum September 1889 in den Montagsnummern des „Siecle" erschienen sind. Skizzen eines wohlwollenden und gedankenreichen Beobachters. Die Sünden des Naturalismus. Von Karl Gold mann. Berlin, R. Eckstein Nächst
Die poetischen Programme stehen längst auf dem Papier. Wir wissen, was der Idealismus von Drama und Roman fordert, was die Naturalisten zu geben gesonnen sind. Wem herrschende Literaturmoden mißbehagen, stürze sie doch durch ein Kunstwerk, wofern er kann! Mit den veralteten Untersuchungen über „Aufgabe der Dichtung" und über „die ewigen ehernen Gesetze" alles künstlerischen Schaffens mögen wir nicht weiter gelangweilt sein; noch weniger mit moralischen Gemeinplätzen. Will aber Jemand durchaus „ästhetisch" phrasen- drechseln, so wäre ihm zum Mindesten ein wenig Feingefühl für poetische Gestaltungen zu wünschen. Endlich schreibe ein Aesthetiker deutsch! Nicht aber Sätze wie den folgenden (S. 206): „Aus diesem Höllenbreughel (!) brutaler Scheußlichkeiten flattern dann plötzlich, wie Phosphoreszenzen aus verfaulten Stoffen, die erhabensten Gedankenblitze auf."
Ferdinand HirUs Geographische Bildertafeln. Eine Ergänzung zu den Lehrbüchern der Geographie insonderheit zu denen von Ernst von Seydlitz. Für die Be-