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Die Alte wiegte den Kops hin und her. Dann wurde sie anss neue von einem ihrer heftigen Hustenanfälle heimgesucht und sie mußte eiu weuig von dem abscheulich duftenden Kaffee trinken, ehe sie wieder zu sprechen vermochte.
„Sechs Monate — hm! — Und Sie haben sie abgemacht? In Plötzensee?"
„Nein! Meine Verurtheilung erfolgte in Breslau, und dort habe ich auch die Strafe verbüßt. Ich war.damals Student."
Frau Haberland fand nichts Ueberraschendes in der letzteren Mittheilung.
„Student — ja, das kennt man, und ein armer Teufel dazu — nicht wahr? Keinen Bissen Brot im Leibe, und dabei die anderen mit den bunten Bändern schlemmen und lumpen sehen wie die — ua ja —; bei mir wohnte auch 'mal so einer, vor zehn Jahren glaube ich! Er mußte im Januar mit einem dünnen Sommerröckchen laufen, weil alles beim Pfandleiher war. Kaffee und Salzkuchen und immer wieder Kaffee — und dabei bis zwei, drei Uhr nachts über den alten Schmökern, 's war auch so ein jämmerliches Kerlchen wie Sie, und er ist natürlich in der Charite an der Auszehrung gestorben, ehe er mit seinem Studieren fertig war. Aber zu verwundern wär's nicht gewesen, wenn er gestohlen hätte, um sich mal satt zu essen. Und übelgenommen hätt' ich's ihm wahrhaftig nicht."
Es gab ein kleines Schweigen, während dessen Hudetz unruhig hin und her rückte. Dann sagte er plötzlich:
„Ich würde niemals aus Hunger gestohlen haben, Frau Haberland."
„Nicht?" — Sie sah ihn wieder mißtrauisch an. „Ja, warum denn sonst?"
„Ich hatte von Jugend auf eine leidenschaftliche Liebe für die bildende Kunst. Hätte ich auch nur die geringste Begabung besessen, so wäre ich ohne Zweifel ein Maler geworden. So aber wollte ich wenigstens das Studium der Kunst und ihrer Geschichte zu meiner Lebensaufgabe machen. Es ist mir schwer geworden, dahin zu gelangen — sehr schwer, denn ich war bettelarm. Aber ich konnte doch endlich die Universität beziehen, und wenn es mir da auch nicht besser erging als dem Studenten, von welchem Sie sprachen, so war ich doch sehr glücklich — wahrhaftig, es war bei Hunger und Noth die glücklichste Zeit meines Lebens. Man bemerkte meinen Eifer und war sehr gütig gegen mich. Nicht nur die öffentlichen Sammlungen durfte ich zu einer Zeit besuchen, wo sie andern verschlossen waren, sondern auf die Empfehlung des Professors hin gestattete mir auch ein reicher Privatmann die Benutzung seiner kostbaren Schätze an seltenen Radirungen und Stichen. Und ich hatte das Unglück, mich in einige dieser Blätter zu verlieben."
Die Alte hatte seiner leisen, eintönigen Erzählung, die ihr zu weitläufig scheinen mochte, mit unverhohlenem Mißvergnügen zugehört. Nun aber fiel sie ihm schroff in die Rede.
„Schwatzen Sie doch keinen Unsinn! Ich weiß nicht, was Stiche und Radirungen sind; aber daß man sich nicht in Blätter verliebeil kann, wenigstens nicht, wenn mail seine gesunden fünf Sinne hat, weiß ich am Ende doch!"
„Vielleicht war ich wirklich nicht ganz bei Sinnen," sagte er, immer in das röthliche Flämmchen der trübe brennenden Küchenlampe starrend, „wie hätte ich sonst die Erbärmlichkeit begehen können, das Vertrauen zu täuschen, das man in mich setzte, und aus bloßer Sehnsucht nach dem Besitz nicht nur das öffentliche Kupferstichkabinett, sondern auch den edlen Mann zu bestehlen, der mich in das Allerheiligste seines Hauses eintreten ließ, weil er einen rechtschaffenen Menschen zu unterstützen gedachte."
„Na, nun hören Sie gefälligst mit den überspannten Redensarten auf, wenn man die ganze Geschichte überhaupt verstehen soll! Also Bilder sind es gewesen, nach denen Sie lange Finger gemacht haben?"
„Ja, einige Künstlerdrucke von höchster Seltenheit. Ich weiß nicht, wie ich zuerst auf den Gedanken kam, sie zu entwenden; aber ich ging umher wie im Fieber, bis es mir gelungen war, einen nach dem anderen unter meinem Rocke unbemerkt hinaus zu schaffen. Als ich sie vor mir in der Stube hatte, tanzte ich vor Freuden herum wie ein Wahnwitziger, und es kam mir gar nicht in den Sinn, daß es ein gemeines Verbrechen sei, dessen ich mich schuldig gemacht hatte. Ich war nur überselig in dem Bewußtsein, die unvergleichlichen Blätter mein eigen zu nennen."
! „Na ja, so geht es immer, bis das dicke Ende nachkommt. ! Als Sie den Krempel an den Mann bringeil wollten, nahm man ! Sie natürlich beim Kragen — nicht wahr?"
! Hudetz sah ohne Verftändniß in das harte, faltige Gesicht.
! „An den Mann bringen?" wiederholte er. „Verkaufen? — ? Ja, ich wollte sie doch nicht verkaufen!"
„Aber was, zum Henker, wollten Sie denn sonst? Wenn man hungert und friert, stiehlt man doch nicht zum bloßen Ver- ^ gnügeu."
! „Ich hatte in der That keine andere Absicht als die, mich
Tag für Tag und Stunde für Stunde an dem Anblick meiner
Lieblinge zu weiden. Vielleicht, ja, wahrscheinlich hätte ich sie
> ihren rechtmäßigen Eigentümern freiwillig zurückgebracht, sobald ! mir die Tragweite meiner Handlung zum Bewußtsein gekommen ! wäre. Aber die Justiz war schneller als mein Gewissen. Der ! Diebstahl wurde schon nach wenig Tagen entdeckt, und der Verdacht konnte sich auf keinen anderen lenken als auf mich. Die
^ Polizisten kamen, um Haussuchung zu halten, und sie fanden mich ^ in das Anschauen meines Raubes versunken. Alles weitere ge- - schah dann, wie es eben nicht anders geschehen konnte." i „Und statt in ein Irrenhaus, wie sich's gehört Hütte, sperrte
! man Sie ins Gefüngniß! Ja, ja, das ist so die Weisheit der
^ Herren von der Polizei und vom grünen Tisch! Uebrigens ! könnte ich die ganze Geschichte ja ebensogut für Schwindel ! halten; aber ich will sie glauben, weil — na, weil ich sie eben ! glauben will. Sie können also meinetwegen wohnen bleiben!
Das heißt — wohlverstanden! — wenn Sie pünktlich bezahlen ! und wenn Sie sich nicht wieder in was verlieben, das Ihnen ! nicht gehört! Was vorbei ist, ist vorbei! Ein Raubmörder, der seine Strafe abgesessen hat und ein anständiger Kerl werden will, ist mir lieber als ein reicher Halsabschneider oder Leuteschinder, dem keine Polizei und kein Gericht was anthut und vor dem alle Welt auf dem Bauche liegt. Aber keine neuen Streiche, das will ich mir ausgebeten haben! Uebrigens, wovon leben Sie denn eigentlich? Mit dem Studieren ist es jetzt doch wohl Essig?"
Hudetz hatte seinen Blick wieder dein schwelenden Lampendocht zugewendet, als wäre es dieser, zu dem er spräche.
„Als ich meine Strafe verbüßt hatte, wurde ich vor einen höheren Polizeibeamten geführt, und dieser eröffnete mir, daß ich innerhalb vierundzwanzig Stunden nicht nur die Stadt Breslau, sondern das Gebiet des Preußischen Staates überhaupt zu verlassen habe. Ich bin ja in einem kleinen galizischen Städtchen geboren und österreichischer Staatsangehöriger. In Deutschland aber wird, wie mir der Beamte sagte, Ausländern, die wegen eines gemeinen Verbrechens bestraft sind, der Aufenthalt grundsätzlich nicht mehr gestattet. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ich wie ein Verbrecher in meine Heimath geschafft werden würde, sobald die hiesigen Behörden von meinem Dasein Keuntniß erlangten."
„Darum also die Angst vor der Polizei! Und weshalb
> gehen Sie nicht freiwillig dahin, wo Sie hergekommen sind?
! Haben Sie denn keine Familie?"
! „Meine Mutter ist längst todt; mein Vater war ein un- ! verbesserlicher Trinker und sitzt seit Jahren halb blödsinnig im ! Armenhause, meine beiden älteren Schwestern, die als Dienst- ! müdchen nach Wien gingen, sind auf schlechte Wege gerathen und ^ längst verschollen."
Die Alte stützte die Arme wieder auf die Tischkante und grub die knochigen Finger in das unordentliche weiße Haar.
! Hudetz aber fuhr fort :
! „Was könnte ich in meiner elenden Vaterstadt beginnen?
! Ich müßte unfehlbar verhungern, denn ich tauge nicht zum ! Handelsmann, und für körperliche Arbeit bür ich zu schwach.
! Hier sammle ich Anzeigen für die Tageszeitungen und schreibe ! gelegentlich kleine Lokalnachrichten, die mir von den Redaktionen bezahlt werden, ohne daß man mich viel um meine Papiere und um meine Verhältnisse befragt. Aber das ist schließlich nur Nebensache. Das Wichtigste ist, daß ich mein Werk daheim in Galizien nimmermehr vollenden könnte."
„Ihr Werk? —- Was für ein Werk?" j „Einen Versuch über altniederländische Malerei, insbesondere ^ über die Brüder van Eyck. Er wird ohnedies unvollkommen ! genug bleiben, was die geschichtlichen Unterlagen anbetrifft, denn ich ! muß ja sehr vorsichtig sein bei meinen Studien, und viele wichtige