Heft 
(1890) 45
Seite
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war: neugierig ist er! Wie ich neulich die Gefangenen im Hof ^ ihren gewöhnlichen Gang machen ließ, natürlich Nummer achtundfünfzig abgesondert von den anderen, als schwerer Raub- ! Mörder, da hat er zufällig gehört, wie zwei zusammen über j unseren neuen Herrn Pfarrer sprachen, daß er ein Adliger und mit seinem Vater und der ganzen vornehmen Verwandtschaft . entzweit war', weil er hat geistlich werden wollen und nicht Offizier, bloß um deswillen, weil er den lieben Gott über alles ^ setzt und ihm allein dienen will, und wie er so schön ist und gut und jedem Armen überreichlich giebt, und wie er mit seiner Rede ^ den Leuten kann das Herz herumdrehen und so allerhand ^ noch von ihn: da hat Nummer achtundfünfzig den Kopf hin­gedreht und zugehorcht, das sah ich wohl, und nun möcht' er gern den geistlichen Herrn Wiedersehen siehst Du wohl!"

Ein scharfer Glockeuzug fetzte Remmlers Rede ein Ziel; Frau Christine ging durch das große, saubere, zweifenstrige Zimmer in ihre kleine Küche und schloß die Thür auf.

Ein Dieustmann mit einem großen Tragkorbe trat ein und ^ begann uuverweilt auszupacken Blumen, nichts als Blumen, ^ eine ganze Flora, ein Stock immer schöner als der andere. !

Frau Remmler schlug wieder die Hände zusammen.

Nein, aber die Pracht! Mann, so komm' doch und sieh! Wahrhaftig Flieder und Veilchen und Maiblumen und sonst noch allerlei!" !

Ja, ja," sagte der Dieustmann,solch 'ne Bescherung ^ habt Ihr wohl noch nie hier im Gefängniß gehabt! Da muß ^ einer lieb'Kind bei den hohen Herren sein, oder aber, sie machen 1 ihn bald 'nen Kopf kürzer und thun ihm zuguterletzt noch dies ^ und das an. So soll's ja immer sein, wenn einer zum Tod ! verurtheilt wird. Aber Blumen für so 'ne Kanaille, na, das müßt' mich trösten! Guten Tag auch!" >

Damit schob er sich zur Thür hinaus. ' j

Remmler setzte mit einem Seufzer sein Pfeifchen weg.

So, Mutter, ich muß das gleich 'rüber besorgen! Gieb mir das Gretchen mit." !

Das Gretchen? Zu einem Mörder?"

Das Gretchen zum Tragen von den Blumen! Laß' doch ^ den armen Sünder ihr liebes, unschuldiges Gesichtchen sehen!" Er öffnete das Fenster, das auf ein kleines, sorgfältig bestelltes Gärtchen sah.

Gretchen!"

Ja, Väterchen!" gab eine Kinderstimme zurück.

Komm' einmal herein! Ich Hab' was für Dich zu thun!"

Ein blondes Kind von zwölf Jahren, dem der dicke Zopf ! über den Rücken hing, kam in die Küche gesprungen und blieb ! wie versteinert an der Schwelle stehen.

Ach, die Blumen!" sagte es endlich ganz gepreßt.Die himmlischen Blumen! Väterchen, wer soll die denn haben?"

Einer von den armen Gefangenen, Grete! Unser Herr Pfarrer schickt sie ihm!"

Der Herr Pfarrer! Väterchen, er hat neulich mit mir gesprochen, ganz lauge, kann ich Dir sagen. ,Bist Du Gretchen j Remmler?' fragte er zuerst und wie alt ich bin- wo ! ich zur Schule geh' ob ich schon der Mutter helfe und ^ über meinen Zopf hat er sich so gefreut! So schön und so gut, ! wie der aber auch ist, ist kein anderer Prediger! Und nun sollen ! wir zusammen die Blumen hintragen, ja?" !

Jawohl, Grete! Hier, such' aus, was Du am leichtesten > tragen kannst, die schweren nehme ich!" j

Vater und Tochter hatten einen ziemlich weiten Weg von ! der Schließerwohnung bis zu der Abtheilung für dieschweren ^ Gefangenen". Treppauf und -ab ging's, über lange, halbdunkle ! Gänge und wunderliche Winkel das Gefängniß war ein altes, ! weitläufig gebautes, wetterfestes Haus oft mußte Gretchen ^ ihre blühende Last absetzen, um ein wenig Athem zu schöpfen. Endlich war man an Ort und Stelle. Remmler setzte alle Töpfe ! zur Erde, hieß sein Töchterchen dasselbe thun und öffnete die i Zellenthür mit einem Schlüssel des umfangreichen Bundes, den j er am Gürtel trug.

Schönfeld saß, mit beiden Ellbogen aufgestützt, an seinem ^ Tisch und las. Er war so vertieft, daß er seine Augen erst von dem Buch erhob, als Remmler dicht vor ihm stand.

Er empfand eine gewisse Vorliebe für den Schließer, der ^ seine Gefangenen nie, um sich ein Ansehen zu geben, barsch an- ^

ließ, auch nie mit seiner Stellung Mißbrauch trieb, sondern die Leute alle ohne Ausnahme mit immer gleicher, etwas wortkarger, aber nicht unfreundlicher Art behandelte.

Zn solch' ungewöhnlicher Stunde, Herr Remmler?" fragte der Gefangene erstaunt.

Sehen Sie nur, was ich Ihnen bringe!" sagte der Schließer lächelnd.Komm' herein, Grete!"

Und sie kam und schleppte mit freudestrahlendem Gesicht eins nach dem andern herein: Veilchen und Maiblumen, Tazetten, Hyazinthen und das Fliederbäumchen; nacheinander stellte sie alles auf dem großen schlichten Holztisch auf, und dann trat sie zurück und sah dem Gefangenen nach den Augen.

Die leuchteten ganz seltsam, wie. sie nach den Blumen schau­ten, sie hatten wohl lange keine mehr erblickt. Scheu stand der Mann, der nicht gezögert hatte, ein Menschenleben zu vernichten und seine Hände nach fremdem Eigenthum auszustrecken, gleichviel, zu welchem Zweck scheu stand er von fern und sah zu den Blumen hinüber, die ihren lieblichen Duft ebenso verschwenderisch in der Zelle des Verbrechers ausströmten wie vor wenigen Stun­den in dem reizenden Boudoir der schönen Annie Gerold.

Unser Herr Prediger schickt sie!" unterbrach endlich Remmler die tiefe Stille.

Der Gefangene neigte ein wenig sein Haupt zum Zeichen, daß er verstanden habe, und sagte nach einer kleinen Weile, wie zu sich selber redend:

Hab' ich doch den Anblick noch vor meinem Tode!"

Remmler winkte ihm mit den Augen nach Gretchen hin, er möge nicht weiterreden, zugleich vernahm man aus der gegen­überliegenden Zelle ein anhaltendes starkes Klopfen gegen die Thür und eine dumpfe Stimme, die unverständliche Worte rief.

Der Schließer öffnete die Thür zum Flur und horchte hinaus.

Herr Remmler!" klang es jetzt vernehmbar herüber.Sind Sie nicht hier? Ich habe doch deutlich Schritte gehört, und Ihren Tritt kenne ich ja!"

Ich bin hier!" rief Remmler zurück.Was wollen Sie von mir?"

Bitte, kommen Sie auf ein paar Minuten zu mir, ich habe Ihnen etwas zu sagen!"

Der Schließer blickte unschlüssig von Schöufeld auf Gretchen.

Wo soll ich Dich solange lassen, Kind?"

Mich?" fragte die Kleine verwundert.Ich bleibe hier, Väterchen, und helfe, die Blumen ordentlich aufstellen!"

Nun gut! Ich werde mich beeilen, bald wiederzukommeu!" Damit ging er, die Thür hinter sich verschließend.

Gretchen Remmler war klein für ihre zwölf Jahre, ein zierliches, zartes Kind. Das schönste an ihr waren die großen blauen Kinderaugen, in denen ein ganzer Himmeh von Unschuld und Güte lag. Eltern, Lehrer, Mitschülerinnen, Gespielen keines von ihnen konnte dem Blick dieses Kindes auf die Dauer widerstehen, es war, als sähe man durch einen krystallklaren Spiegel geradeswegs in das kleine Herz hinein, wie es nur Wohl­wollen, Vertrauen und Liebe in sich barg.

Mit diesen Augen blickte das Kind jetzt an dem vor ihm stehenden Mann in die Höhe, und diesem wurde seltsam zu Muthe dabei. Immer, von Jugend auf schon, hatte er Kinder lieb ge­habt und sich gern mit ihnen abgegeben. Kinder und Blumen! Eine merkwürdige Liebhaberei eines zum Tode verurteilten Ein­brechers und Mörders!

Plötzlich kam ein banger, ängstlicher Ausdruck in Gretchens Gesicht, sie erinnerte sich der halb geflüsterten Worte des Mannes, der da vor ihr stand, als er die Blnmen gesehen hatte, und wie der Vater ihm ein Zeichen gemacht hatte, er solle schweigen . . . das hatte sie recht gut bemerkt!

Sie setzte ein paar Mal an, um zu sprechen, und ihre kleine Brust hob und senkte sich rasch unter ihrem beschleunigten Athem. Endlich fragte sie stockend und so leise, daß Schönfeld sich Lief zu ihr niederbeugen mußte, um sie zu verstehen:

Ist das wahr, was Du eben gesagt hast, daß Du sterben mußt?"

Es that dem Mann leid, daß die Kleine seine Worte ver­standen hatte, aber nun war es zu spät! Sie würde andere fragen und dennoch die Wahrheit erfahren, selbst wenn er sie ihr jetzt verschwieg. Und so nickte er und sagte:Ja!"

Das Kind sah ihn scheu vou der Seite an, und es war,