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Paradiesvogel.
(14. Fortsetzung.) Roman von Paul Oskar Locker.
ie Vernehmung des Amerikaners war umständlich, weil Sah für Satz übertragen werden mutzte, sie bot aber doch eine gewisse Abwechslung. Mr. Bright besaß nichts von der respektvollen Steifigkeit, die die erste Gruppe sportlicher Zeugen dem Richter gegenüber an den Tag gelegt hatte. Er sprach bequem, steckte einmal die Hände in die Taschen seines Hellen englischen Reiseanzugs, und seine Vernehmung ries mehr den Eindruck einer Privatunterhaltung mit dem Dolmetscher als den eines feierlichen Verhörs hervor.
„Da ich die Lethel auf dem Kontinent nicht beim Rennen gesehen und im Training geritten habe," darin faßte er seine Aussage schließlich zusammen, „so kamt ich natürlich nicht beschwören: das Pferd, das ich in Hamburg erhalten habe, war die Lethel oder war sie nicht. Ich kann nur sagen: die Lethel, die man mir mitgegeben hat, die hat den Ruf, den sie besaß, in keiner Weise gerechtfertigt."
Es wurden ihm auf Veranlassung der Verteidigung die Bilder zugereicht, die von der Lethel existierten.
Der Jockey meinte, dem Bilde nach könnte das Pferd, das Mr. Patterson bekam, sehr wohl die Lethel gewesen sein. „Aber das Bild gibt ja nicht alles wieder. Oft ist es nur ein besonderes Jucken, ein Zucken den Haut, eine bestimmte Art zu wiehern, mit dem Kopf zu nicken, ein nur dem schärfsten Beobachter auffälliger hellerer Schein an der Brust, an der Flanke, ein besonders seidiger Glanz der Mähne oder des Schwanzes, was sonst täuschend ähnliche Doppelgänger voneinander unterscheidet, und auch da nur, wie gesagt, bei genau Eingeweihten, die selbst die Pflege des Pferdes besorgen. Das ist wie bei Zwillingen. Die unterscheidet oft auch niemand außer der Mutter. Bei den Pferden erkennt sogar die Stute ihr eigenes Fohlen nicht mehr, wenn es eine Zeitlang abgesetzt ist."
Nun meldete sich Fresenius zum Wort. Unter einem etwas spöttischen Lächeln ließ er sich vernehmen: „Mr. Bright er
wähnt die Eigenschaft der Stute, ihr eigenes Fohlen nicht herauszuerkennen. Der Vergleich liegt allerdings nahe. Denn das Bild, das Mr. Bright augenblicklich in Händen hält, ist nicht das der Lethel, die er damals persönlich wochenlang im Training gehabt hat, sondern eben das der Doppelgängerin, die der Sotersche Stall aufwies: der Minka a. d. Gudrun."
Eine lebhaftere Bewegung, untermischt mit einiger Heiterkeit, entstand im Saal. Als dem Amerikaner von: Dolmetscher die Bemerkung des Rechtsanwalts übersetzt wurde, warf er das Bild gereizt auf den grünen Tisch und steckte die Hände wieder in die Taschen. „Dann müssen Sie einen Tiermaler zum Sachverständigen machen, nicht mich!" sagte er achselzuckend.
Auf diese seltene Ähnlichkeit der beiden Pferde ging der Vorsitzende nun noch ausführlicher ein. Es wurde zu diesem Zweck eine neue Gruppe von Sportleuten aufgerufen. Die Mehrzahl zeigte sich aber sehr zurückhaltend in den Aussagen.
„Das liegt so weit zurück," meinte ein Oberleutnant von Gamps ehemaligem Regiment, „daß ich nicht wagen würde, nach einem Bilde festzustellen: dies ist die Lethel und dies nicht."
„Sie haben die Lethel mehrmals geritten?"
„Ja. Acht Tage lang. Bor dem letzten Armeerennen in jenem Jahre, während Freiherr von Gamp, der eine kleine Sehnenzerrung hatte, sich schonen mußte."
„Sie hielten das Pferd gleichfalls für ganz hervorragend?"
„Erstklassig. Nicht nur auf dein grünen Rasen, sondern in jeder Form des Rennens. Ich war davon überzeugt, daß die Lethel bei dem Distanzritt Hamburg-Rom als erste durchs Ziel gehen würde, besonders wenn Gamp sie steuerte."
„Kam es Ihnen und Ihren Herren Kameraden nicht sehr überraschend, als es eines Tages hieß, die Lethel sollte noch vor dem Distanzritt nach Amerika verkauft werden — und
Minka a. d. Gudrun würde unter den: Freiherrn von Gamp laufen?"
„Allerdings."
„Schöpften Sie damals einen Verdacht?"
„Absolut nicht."
„Wie erklärten Sie sich's?"
„Mit momentaner Geldklemme in seinem Hause."
„Galt der Freiherr von Gamp für sehr verschwenderisch?"
„Nein."
„Seitdem er verheiratet war, hatte er sich aus den Junggesellenkreisen natürlich mehr und mehr zurückgezogen?"
„Ja."
„War man in Ihren Kreisen näher über seine Finanzen unterrichtet?"
„Es hieß nur, die Partie wäre pekuniär doch nicht so glänzend, wie wir angenommen hatten. Zufällig erfuhr einer der Herren, daß nach Jahresfrist die Brautausstattung noch nicht bezahlt war. Es tat uns sehr leid, als Gamp den Ab schied nahm. Den Gerüchten, die hinterher über ihn ausgekommen sind, ist das ganze Osfizierkorps stets energisch entgegengetreten. "
„Wäre er noch aktiv gewesen, so würde sich doch zweifellos Ihr Ehrenrat der Sache bemächtigt haben?"
„Zweifellos. Wir waren sogar alle der Überzeugung, Gamp würde selbst die ehrengerichtliche Untersuchung gegen sich eingeleitet haben."
„Hat der Freiherr von Gamp Ihres Wissens Schulden in Kameradenkreisen gehabt, Herr Oberleutnant?"
„Im Gegenteil. Er hat sogar verschiedene Außenstände gehabt. Nur kleinere Summen freilich, die ihm ein ärmerer Kamerad noch von früher her schuldete. Wir hörten erst im vorigen Winter, daß er aus dem Ausland, wo er in große Not geraten war, einmal an den Herrn geschrieben hatte. Aber dessen Brief blieb liegen, weil der Adressat in Ostasien weilte. Hernach wurden die verschiedensten Anstrengungen gemacht — durch Konsulate und Agenturen — um Gamps Adresse habhaft zu werden, damit die Sache geregelt ward; leider blieb alles Nachforschen vergeblich."
Der nächste Zeuge war General von Wiehern.
Seine Aussage über den ehemaligen Allgehörigen des Offizierkorps seines Regiments war geradezu glänzend:
„Als Reiter, als Rekrutenoffizier, als Instruktor, aus Patrouille und auf den: Kavallerieübultgsplatz hat sich der Leutnant Freiherr von Gamp stets so vorzüglich gehalten, daß ihm für seine militärische Laufbahn die besten Konduiten zur Seite standen. Er war mir auch ein lieber junger Kamerad. Als er sich eines Tages im Dienstanzug bei mir melden ließ und sein Abschiedsgesuch einreichte und bei mir begründete, war ich geradezu außer mir. Ich verlor den fähigen, tapferen, geschickten, immer willigen jungen Herrn nur sehr ungern aus dem Offizierkorps."
„Und wie begründete er sein Abschiedsgesuch, Herr General?"
„Er sagte: ,Jch habe nicht die Mittel, Herr Oberstleutnant, um einem Zusammenbruch unseres ganzen Hauses vorzubeugen. Ich muß daher rechtzeitig meinen Abschied nehmen, damit unter meiner schweren Stunde der Name des Regiments nicht leidet?"
„Sie bezogen das auf die pekuniäre Mißwirtschaft im Hause Gamp-Soter?"
„Auf nichts anderes."
„Freiherr von Gamp verließ das Regiment ohne nmng und Klang?"
„Er hatte mich um Urlaub bis zu seinem Abschied gebeten und verließ die Garnison, bevor das für ihn geplante Liebes- mahl zustande kommen konnte."