Heft 
(1906) 15
Seite
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Brachten Sie die auffällige Hast später nicht mit der Lethel- Angelegenheit in Zusammenhang?"

Nach meinen persönlichen Erfahrungen mit Gamp hielt ich das Gerücht zunächst für einen ganz törichten, unqualifizierbaren Klatsch. Sonst würde ich als Vorsitzender des Ehrenrats un­bedingt sofort dagegen eingeschritten sein. Seine Interessen trotz seines Abschieds und trotz seiner Abreise ins Ausland noch wahr­zunehmen, das stand mir dann aber leider nicht zu, weil Gamp nicht mehr mein Untergebener war."

Bei diesem Urteil über Ihren früheren jungen Kameraden sind Sie bis auf den heutigen Tag geblieben?"

Man müßte mir denn beweisen, daß Gamp eine solche Täuschung ausgeführt hat."

Die überaus günstige Aussage des Generals verfehlte ihren Eindruck auf die Hörerschaft nicht. Verschiedentlich wurde ge­flüstert, der und jener entsann sich, den jungen Baron von Gamp draußen in: Gang gesehen zu haben. Niemand hatte sich ihm da genähert, wie ein Paria stand er abseits von den Gruppen der übrigen Zeugen. Man war gespannt, zu erfahren, ob General von Wichern und der Oberleutnant den ehemaligen Kameraden angesprochen hatten. Einer der bereits vernommenen Zeugen, der sich öfters mit einer hinter ihm auf der Zuschauer­tribüne sitzenden Dame im Flüsterton unterhielt, bestritt es. Es wäre nur zu einem kurzen, stummen, ernsten Gruß Zwischen den Herren gekommen, behauptete er.

Der nächste Zeuge ist der Stallmann Bogladki, zur Zeit in Nagp-Dewna."

Sofort verstummte jedes Gespräch. Aus dem Verlaus der bisherigen Verhandlung hatte sich ergeben, daß Bogladki der einzige in Betracht kommende Fremde war, der über den Ver­bleib der Lethel genau unterrichtet sein mußte.

Ängstlich trat der Stallmann ein. Man merkte ihm die große Aufregung an. Der Richter bemühte sich daher, den Zeugen durch freundliches Zureden zu beschwichtigen.

Es geschieht Ihnen nichts, haben Sie keine Sorge. Sie sollen uns nur nach bestem Wissen und Gewissen hier über ein paar Punkte Auskunft geben. Ich lasse Ihnen nach jeder Frage Zeit. Überlegen Sie sich in aller Ruhe, was Sie davon noch wissen. Denn die Dinge, die hier erörtert werden, liegen Ziem­lich weit Zurück."

Und darauf begann Bogladkis Vernehmung, die der Partei des Beklagten Enttäuschung auf Enttäuschung brachte.

Sie hatten im letzten Sommer, bevor Sie die Stellung in Ungarn antraten, Stall IV auf dem Soterschen Gestüt unter sich. Können Sie sich noch einzelner Pferde entsinnen, die Sie in Pflege hatten?"

Bogladki bejahte und zählte mit noch etwas zitternder Stimme ein paar Namen auf. Auch Lethel und Minka nannte er darunter.

Die Lethel war aber seltener im Stall," fügte er hinzu. Der junge Herr Baron ritt sie auf den Rennen. Die und die Minka."

So, die Minka auch?"

Ja, auf der wollte er doch den großen Ritt nach Italien machen." ^

So, dessen entsinnen Sie sich noch genau? Und während -der Freiherr von Gamp die Minka trainierte, stand die Lethel bei Ihnen in Stall IV?"

In Stand I rechts von der Tür war die Lethel, in Stand III links die Minka. Aber da war dann eine Lücke, denn die Minka kam ja nicht mehr zurück."

So! Wo blieb sie denn?"

Im Italienischen drüben. Da hätte sie vergiftetes Wasser bekommen, sagte der Bursche, und daran wäre sie eingegangen. Aber der Bursche konnte nichts dafür, der war ja nicht dabei. Das waren bloß die verflixten Italiener."

Warum begleitete denn der Bursche seinen Herrn nicht?"

Es war doch Vorschrift, daß die Herren das Rennen ohne Burschen ritten, also trainierte der Herr Baron auch allein, der Bursche sollte erst später mit der Bahn Nachkommen, die Zeit über tat er Dienst bei der Schwadron."

Und eines Tages kam also der Herr Leutnant allein, ohne die Minka, Zurück und holte die Lethel?"

Bogladki zögerte mit der Antwort. Man sah ihm an, wie er seinen Kopf anstrengte. Ein paar Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Ängstlich irrte sein Blick von einem der fremden Gesichter zum anderen. Tiefe Stille herrschte im Saal.

Soweit ich mich entsinne, ist der Herr Baron an einem Sonnabend gekommen so nach Mitte Juni und bis zum Dienstag geblieben."

Allein?"

Ja, allein."

Seine Frau hatte ihn nicht begleitet?"

Nein, er war ganz allein."

Und wo war Herr von Soter?"

Der war in Berlin."

So. Die ganze Zeit über?"

Die ganze Zeit über."

Können Sie das beschwören?"

Bogladki holte tief Atem.Ich weiß es doch nicht anders."

Wie wollen Sie denn so bestimmt angeben, daß der junge Herr gerade an einem Sonnabend kam und gerade an einem Dienstag wieder ging?"

Sonnabend war Lohntag und damals gab's keinen Lohn, weil der gnädige Herr nicht da war. Und der

Dienstag, an dem der junge Herr wegritt, war der Abend von Sankt Hans."

Johannistag? So. Daran haben Sie sich's gemerkt?"

Ja. Mittags gab es saure Bohnen, wie alle Diens­tage und abends zur Feier Schnaps, Bier und Tanz mit den Mägden."

Eine kleine Lachwelle hatte sich erhoben, verlief aber

sofort wieder.

In den paar Tagen hat der junge Herr nun also die Lethel wieder geritten?"

Ja. Bestimmt. Und immer so und so viele Stunden lang. In der letzten Woche war sie doch nur bewegt worden und da sollte sie nun wieder in Gang kommen."

Und der Herr Baron hatte wiederum gar niemand bei sich, als er vom Gestüt abritt?"

Nein. Wer hätte auch mitkommen sollen? Wenn der Herr Baron auf der Lethel saß, dann konnte ihm ja doch keiner folgen."

Die Aussage Bogladkis ließ mehr und mehr die ganze Verdächtigung hinfällig erscheinen. Wenn die Partei Heinroth kein anderes belastendes Material herbeizuschaffen vermochte, war der versuchte Wahrheitsbeweis kläglich gescheitert.

Das Publikum studierte die Mienen. Zwischen dein Beklagten und seinen Rechtsbeiständen war während der ganzen Dauer der Vernehmung des Zeugen eifrig geflüstert worden. Heinroth hatte einen dunkelroten Kopf bekommen; auch Fresenius ward immer unruhiger. Mehrmals hatte er versucht, den einfachen Mann durch scharfe Zwischenfragen zu verwirren. In den meisten Füllen mißlang ihm seine Absicht. Nachdem sich Bogladki einmal an Ton und Wesen des Richters gewöhnt hatte, faßte er zu ihm ein gewisses Zutrauen. Die raschen, kur^ abgerissenen Fragen des Fremden verstand er zumeist gar nicht. Jedesmal, wenn Fresenius mit einem seiner Eingriffe abblitzte, ging über Sixt von Soters Gesicht ein behagliches Schmunzeln.

Der einzige, der mit geradezu steinerner Ruhe dem Gang der verschiedenen Vernehmungen folgte, war Gernot. Auch als die Aussagen sich mehrten, die bewiesen, daß weder Asta noch ihren Vater die geringste Schuld der Mitwisserschaft traf, ja, als sich auch die Schuldlosigkeit Gamps mehr und mehr dartat, verriet äußerlich kein Wimperzucken eine Bewegung. Aber groß und ernst und prüfend waren fortgesetzt seine Blicke auf Soter gerichtet - der es während der ganzen Verhandlung indes vermied, ihn anzusehen.