Heft 
(1906) 28
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schweigend an ein auf den inneren Hof der Residenz führendes Fenster, und Herr o. Borcke sah den König als Reitpferd unter einem prächtig gekleideten gleichaltrigen Negerjüngling, der ihn mit Sporen und Peitsche traktierte. Zuletzt verfiel der König mehr und mehr, aber den boshaften Witz behielt er bis zum Ende; einmal lud er eine Herrengesellschaft zu Tisch, deren sämtliche Mitglieder irgendeinen Naturfehler be­saßen, seinen ungeliebten Halbbruder, den verwachsenen Erb­prinzen Friedrich, an der Spitze; als die Gesellschaft von Lahmen, Einäugigen, Harthörigen, Stammelnden usw. bei­sammen war, begrüßte sie der König mit den befriedigten Worten;Endlich sind wir unter uns!" Die Herren machten

Miene, nicht zu verstehen, worauf der König jeden einzelnen mit Namensnennung an sein spezielles Übel erinnerte und mit den Worten schloß:Hier mein buckliger, lieber Bruder und hier der verrückte Erbkönig von Dänemark und Norwegen." Der König hielt sich für ein militärisches Genie und zeichnete während der Staatsratssitzungen gern mit farbigen Stiften blutige Schlacht­szenen, die dann von den Bedienten an das Publikum verkauft wurden; aber seit der Katastrophe von 1772 geriet er bei jedem Geräusch in Todesangst; er starb am 13. März 1808 vor Schreck, als er zu Rendsburg unvermutet der von Napoleon I. gegen England und Schweden nach der Cimbrischen Halb­insel entsandten spanischen Truppen ansichtig wurde.

Der am 17. Januar 1772 ausgeführte militärische Hand­streich gegen Struensees Herrschaft war eigentlich kein Sieg des dänischen Nationalgefühles, aber der in Kopenhagen herr­schende deutsche Geschichtsadel hatte gegen das Abenteurer­regiment dieses Gefühl angerufen; die Folge war eine dani- sierende Richtung in der Regierung der nationalgemischten Monarchie; zusammen mit den Erschütterungen der Napoleo- nischen Epoche hat sie zu der Zerstörung dieser Monarchie den ersten Keim gelegt.

Die dem Sturz Struensees gefolgte Regierung war reaktionär und korrumpiert; erst viel später hat man den Zu­sammenhang zwischen der Zerrüttung der Staatsfinanzen und der notwendigen Ablohnung der Helfer vom 17. Januar 1772 entdeckt. Die königliche Stiefmutter Juliane Marie und ihr vorerwähnter Sohn Erbprinz Friedrich regierten; der bei der Katastrophe seiner Mutter kaum 4jährige Kronprinz wurde schlecht gehalten und durfte nichts lernen; bei Hofe behauptete man gegen ihn gerichtete Ertränkungsversuche der Stiefgroßmutter bei Gelegenheit eines ländlichen Festes auf Schloß Fredensborg mit Luftfahrten auf dem benachbarten Esromsee. Man suchte seine Unmündigkeit zu verlängern, aber die längst wieder um­geschlagene hauptstädtische Bolksstimmung erzwang seine Ein­führung in den Staatsrat am 14. April 1784; nach einem körperlichen Ringen mit dem 31jährigen Stiefoheim, jenem Erbprinzen Friedrich, bemächtigte sich der 16jährige Kronprinz der Person des 35jährigen Vaters, verwies die Stiefgroß­mutter in ihre Gemächer und übernahm die Regierung. Die ersten Regierungsjahre dieses tragischen Verhältnissen entstamm­ten Fürsten werden noch immer gepriesen, besonders dank dem wirtschaftlichen Gedeihen unter der Neutralität während der französischen Revolutionskriege; auch Literatur und Kunst blühten auf; durch die Verfügungen des Holsteiner Grafen C.D.Reventlow und des Norwegers Colbjörnsen wurde die bäuerliche Leib­eigenschaft beseitigt; aber das Ende waren Bombardement und Hinwegführung der Flotte von Kopenhagen durch die Eng­länder 1807, die Kriegsbeteiligung auf Napoleonischer Seite 1813 und die Wegtauschung Norwegens gegen Lauenburg durch den Kieler Frieden 1814. Kronprinz, dann König Fried­rich VI. war in seinen persönlichen Sympathien deutsch ge­sinnt, und seine Armee war auch nach Jena preußisch organisiert. Aber die Politik war stärker als die Sympathie, und somit hat unseres Feldmarschalls Moltke Vater 1809 als dänischer Offizier die holsteinische Landwehr nach Stralsund gegen Schill geführt. Im Jahr 1814 belebte der 46 jährige König die Gesellschaft des Wiener Kongresses durch seinen derben Witz; viel bewundert in seinem Land wurde seine Replik auf des

Kaisers Franz höflich.e Abschiedsworte:Ew. Majestät haben hier halt alle Herzen gewonnen!">Aber keine einzige Seele."

Dem weniger nach den Oldenburgern als vielmehr nach den Welfen geartetewKönig lag nach seiner ganzen Art die Romantik fern; dennoch sollte sie auch sein Leben überschatten. Im Jahr 1790 mit seiner etwas älteren Cousine Landgräfin Marie von Hessen-Kassel vermählt, sah er von den acht Kindern dieser Ehe nur zwei Prinzessinnen das reifere Alter erreichen; die Knaben kamen angeblich alle tot auf die Welt, der Kopenhagener Bolks- mund behauptet aber, jene Stiefgroßmutter Juliane Marie habe sie jedesmal von der Hebamme wegnehmen und tote Kinder aus der Entbindungsanstalt an ihre Stelle legen lassen. Man erzählte von furchtbaren Gewissensqualen der sterbenden alten Königin; die Hebamme sollte auf dem Totenbett den Sachverhalt eingestanden haben. Die Knaben sollen zu armen Leuten getan worden sein, und später wollte man ge­legentlich einen oder den andern an der großen Ähnlichkeit mit Friedrich VI. erkannt haben; doch wäre das kein Beweis gewesen, da der König ziemlich zahlreiche außereheliche Kinder hatte. Einer dieser Knaben wurde angeblich später vollständig rekognosziert und dem König vorgestellt; er soll zu einem Geistlichen nach Grönland getan und dort vorgeschriebener­maßen gänzlich ohne Bildung aufgezogen worden sein; der König weinte bei seinen: Anblick, versorgte ihn gut, ließ ihn aber nie wieder vor sich.

Auf König Friedrich VI. folgte am 3. Dezember 1839 dessen 63jähriger Vetter Christian VIII., der mit 27 Jahren 1814 einige Monate hindurch alsChristian Friedrich" König von Norwegen gewesen war. Ein auffallend schöner Mann bis auf die ererbte hohe Schulter, die der Kopenhagener Witz mit einem Seitenblick auf seinen berufenen GeizKönig Christians Kriegs­kasse" nannte, besaß er seine Bildung neben Verstand und großer Liebenswürdigkeit, war aber von Grund aus unwahr; um die einheimische Demokratie von der Hauptstadt weg süd­wärts abzulenken, begünstigte er die dänische Sprachbewegung in den schleswigschen Grenzbezirken und hat damit zu seinem Teil die Zerstörung der dänischen Monarchie mit herbeiführen helfen.

Romantisch gestaltete sich seine erste Ehe mit einer älteren Cousine, Prinzessin Charlotte Friederike von Mecklenburg- Schwerin. Diese war eine Tochter des durch seine humo­ristischen Einfälle noch heute volkstümlichen ersten Friedrich Franz; leider hatte sie von dem Vater Zwar das Temperament und den Geist geerbt, nicht aber den klaren Weltverstand. Von dem Gemahl vernachlässigt, langweilte sie sich an dem bei vieler Sittenfreiheit monotonen Kopenhagener Hof und vergaß dann die Rücksicht auf ihre Stellung; dieunartige" Charlotte Friederike wurde 1809 nach Horsens in Jütland verbannt. 1829 wurde sie aus Horsens entlassen, ging nach Italien, wurde katholisch und trat in einen Büßerinnenorden; sie starb 1840 in Rom. In zweiter Ehe war Christian VIII. mit Karoline Amalie von Holstein-Augustenburg vermählt, einer Enkelin der unglücklichen Karoline Mathilde; die sehr schöne und begabte Dame hat ihn lange überlebt und war eine Hauptstütze des dänischen Pietismus.

König Christian VIII. selbst wird am besten durch das Wort einer norwegischen Bauernfrau aus der Zeit seiner dortigen dänischen Statthalterschaft gekennzeichnet:Welch' ein seines Prinzchen," rief sie,aber für uns zu weich!" Er war körper­lich sehr ängstlich und hatte in späteren Jahren den deutschen Gesundheitsapostel Ernst Mahner konsultiert; dieser stellte die Alternative:Weniger essen oder weniger schlafen", und der König wählte das letztere; des vielen Essens wegen mußte er fleißig zur Ader lassen, und eine davon zurückgebliebene kleine Armwunde führte zu Blutvergiftung.Was klopft da so?" fragte der König ängstlich den Arzt, als er das gesteigerte Fieber wahrnahm.Majestät, der Tod", war die unumwundene Antwort.Dann lassen Sie ihn nicht ein", rief der König bestürzt; aber einige Stunden darauf war der 61jährige Herr- gestorben.