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Jllustrirte Deutsche Monatshefte.
In Theaterkreisen begegnet man oft der Klage, die deutsche Bühne befinde sich im Verfall. Auf die sociale Bedeutung der Bühne kann diese Klage wohl nicht gemünzt sein, denn mehr als in unseren Tagen hat niemals das Theater im Vordergründe der gesellschaftlichen Interessen gestanden. Wenn irgendwo in einen: größeren Theater eine Orchestervertiefnng vorgenommen, wenn die Zwischenactsmusik beseitigt oder ein neuer Vorhang angeschafft werden soll, so giebt es erregtere öffentliche Discussionen, als sie seinerzeit über das Unfehlbarkeitsdogma stattfanden, und ein Salon, den nicht die Schleppe einer Theaterdame, und wäre es auch einer untergeordneten, bisweilen abfegt, ist zurückgesetzt. Liegen in diesen Erscheinungen Symptome des Verfalls, so könnte man wohl eher sagen, das gestimmte Cultnrleben der Gegenwart habe einen wunden Fleck, der nur in der Behandlung des Theaters seitens der Gesellschaft besonders ersichtlich werde. Seine sociale Bedeutung hat das Theater in Deutschland ursprünglich doch nur dem Umstande zu danken, daß Schriftsteller von hervorragendem Rufe an die Spitze großer Bühneninstitute traten, nach Goethe in Weimar Laube und Dingelstedt in Wien, Gutzkow in Dresden, Jmmermann in Düsseldorf. Die Klage über den Verfall des Theaters gründet sich aber auf andere Wahrnehmungen, sie bezieht sich aus die Production für die Bühne nicht minder als ans die Production auf der Bühne.
Sprechen wir zuerst von der Production für die Bühne.
Es stehen keine großen Dramatiker in unseren Tagen auf, das ist wahr. Ist dafür ein Theaterdirector verantwortlich? Kann mehr geschehen, als was Laube that, der im Wiener Stadttheater durch mehrere Jahre eine, wahre Novitätenjagd veranstaltete, bei der, wie es in der Natur der Dinge lag, eine Unzahl dramatischer Neulinge den Hals brach? Konnte Dingelstedt nicht darauf Hinweisen, daß er dem Repertoire des Bnrgtheaters eine Menge modernster Namen einzuverleiben suchte, neben Wilbrandt, Lindau, L'Ar- ronge, Moser auch Hugo Bürger, Triesch, Schönthan, Greif? Daß am Ende von all' diesen: Blüthensegen so wenig reiste, war doch weder Lanbe's noch Dingelstedt's
Schuld. Man denkt dabei an die malitiöse Antwort, welche Dingelstedt einem obscnren Dramatiker gab, der ihm gleichzeitig zwei Stücke zugesendet hatte. „Haben Sie die Sachen bereits gelesen, Herr Baron?" „Erst das eine Stück." „Und wie gefällt es Ihnen?" „Das andere gefällt mir besser." — Sie thaten, was in ihren Kräften war, um die Production für die Bühne zu fördern und zu heben, aber unsere Zeit ist es, diese vielzersplitterte, von den widersprechendsten Interessen zerrissene Zeit, welche die Concentration der Talente verhindert und die Empfänglichkeit des Publikums ablenkt. Große Schauspielhäuser werden gebaut, auch in Wien wird binnen wenigen Jahren ein neues monumentales Burgtheater eröffnet sein; aber dann wird es auch mit jenem intimen Verständnisse zwischen Parterre und Scene vorbei sein, in welchen: das Geheimniß der Erfolge des Bnrgtheaters lag. Große Schauspielhäuser, splendide Foyers, verblüffende Virtuosen thun es leider nicht; das Priesterthnm ist von der Bühne gewichen und kein Theaterdirector kann es zurückbringen.
An Dingelstedt ist diese Wahrnehmung nicht spurlos vorübergegangen, und da die zeitgenössischen Dramatiker ihn: versagten, so versuchte er es mit den Elastiken:. Er hat in München jene Mnster- vorstellnngen Schiller'scher, Goethe'scher und Lessing'scher Stücke, an denen die hervorragendsten deutschen Bühnenkräfte mitwirkten, veranstaltet, und das war eine künstlerische That. Er hat dann in Weimar anläßlich des Schillertages die Dramen des großen Dichters und kurz darauf die Shakespeare'schen Dramen in vollendeter Weise vorgeführt. Er hat schließlich das Beste, was die dramatische Literatur besitzt, bearbeitet und neu scenirt, und wer sich der Wiener „Shakespeare-Woche" erinnert, wer Moliere's „Geizigen" und Goethe's „Götz" in den: Hanse am Mi- chaelerplatze gesehen, dein braucht es nicht gesagt zu werden, wo der Ruhm des Theaterdirectors Dingelstedt zu suchen ist. Das war der Dichter, der den Dichter interpretirte, der Romantiker, der Vergangenes neu belebte. Die Historien Shakespeares hat Dingelstedt der deutschen Bühne schlechthin gerettet, die Einrichtung des „Fanst" zu einer Trilogie