Goldbaum: Fr
ist leider Project geblieben — der Tod hat sie vereitelt.
Um aber Solches zu können, mußte in den Aeußerlichkeiten der Bühne eine Reform herbeigeführt werden, und Dingelstedt hat sie vollbracht. Noch Heinrich Laube hatte der Illusion des Publikums Zn- muthungen gestellt, welche sie nicht vertragen konnte. Ihm genügte es, mittelst des scenischen Apparates karge Andeutungen zu machen, einen Salon, ein Interieur, eine Procession zu „markiren"; das Publikum sollte aus Eigenem sich das Bild ergänzen. Gegen diesen naturalistischen Standpunkt revoltirte Dingelstedt; er brachte Licht, Farbe, Glanz und Mannigfaltigkeit auf die Bühne. Das Publikum sollte von dem Gange des Stückes nicht abgezogen, nicht gezwungen werden, zu dem Sujet vermittelst seiner Einbildungskraft die Umgebung gleichsam nachzutragen, eine Scenerie aus dem Mittelalter, aus dein Zeitalter Lndwig's XIV., des Directoriums, des Kaiserreichs sich rasch all Iioe zu construiren. Dingelstedt hatte bereits als Director des Wiener Hofoperntheaters gezeigt, welch wunderbar anschauliche Bilder großer Action er zu schassen im Stande war, bei den Aufführungen des „Lohengrin", des „Tannhäuser" und anderer zur künstlerischen Ausstattung geeigneter Opern. Im Bnrg- theater bewies er dieses Können in noch höherem Maße, weil beschränktere räumliche Mittel zu Gebote standen und der Charakter der Bühne das Uebermaß ausschloß. Man hörte die verschiedenen Zeiten der Geschichte nicht mehr bloß reden, man sah sie leibhaftig in Sitte, Brauch und Lebensart; zu dem Ensemble der Künstler gesellte sich das Ensemble von Wort, Handlung und Bild. Der Theaterdirector war hier zum Cnlturhistoriker geworden.
Bon großen Dingen haben einst die
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Dramaturgen geträumt. Aristoteles von der Katharsis, der Reinigung der Leidenschaften, Schiller von der Schaubühne als moralischer Anstalt. Das ist vorüber. Dingelstedt begnügte sich, die Bühne in den Grenzen einer Volksbildungsanstalt zu erhalten Er konnte dies mit dem Schauspielermaterial, das ihm zu Gebote stand. Ein Adolf Sonnenthal, ein Josef Lewinski werden zu Volksbildnern, wenn ein Dingelstedt ihnen dazu die Pfade weist. Aber wo solches Material nicht vorhanden ist, da sinkt die Bühne allgemach zur ausschließlichen Unterhaltungsanstalt herab; die Soubrette verdrängt den Tragöden.
Was etwa der „Nachtwächter" an Jenen gesündigt, welche ihn einst als Kameraden im politischen Streite betrachtet hatten, das hat der Theaterdirector reichlich gesühnt. Was aber die Zeit an ihm verschuldet hat, das sang er ohne Klage und Anklage in dem Epilog zu seinen Gedichten:
Die Zeit hat andre Ziele als die Kunst:
Ihr bester Geist verpufft in Dampf, in Dunst.
Und dennoch reizt wie ein vergrabner Schatz Mich stets ihr Kampf von Satz und Gegensatz,
Ihr Drang, der jede alte Form zerbricht.
Erfindet er die neue auch noch nicht,
Ihr ungestümer allgemeiner Schwung
Nach Macht, nach Freiheit und nach Einigung.
In solchen Zügen scheint die Gegenwart Mir wahlverwandt und meiner eignen Art.
Als an einem dieser schmerzensreichen Tage, die er vom Krankenlager aus dem Sterben zneilen sah, ein mehr als gewöhnlich lebhaftes Interesse an seinem Zustande in der Zahl theilnahmsvoller Anfragen znm Ausdruck kam, murmelte er bitter: „Die Raben flattern schon, aber zu früh." Das war ein hartes Wort, ein Wort der Weltverachtung. Die Fortdauer seines Namens wird zeigen, daß er die Menschen unterschätzte.