Heft 
(1881) 299
Seite
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Goldbaum: Fr

ist leider Project geblieben der Tod hat sie vereitelt.

Um aber Solches zu können, mußte in den Aeußerlichkeiten der Bühne eine Re­form herbeigeführt werden, und Dingelstedt hat sie vollbracht. Noch Heinrich Laube hatte der Illusion des Publikums Zn- muthungen gestellt, welche sie nicht ver­tragen konnte. Ihm genügte es, mittelst des scenischen Apparates karge Andeutun­gen zu machen, einen Salon, ein Interieur, eine Procession zumarkiren"; das Pu­blikum sollte aus Eigenem sich das Bild ergänzen. Gegen diesen naturalistischen Standpunkt revoltirte Dingelstedt; er brachte Licht, Farbe, Glanz und Mannig­faltigkeit auf die Bühne. Das Publikum sollte von dem Gange des Stückes nicht abgezogen, nicht gezwungen werden, zu dem Sujet vermittelst seiner Einbildungs­kraft die Umgebung gleichsam nachzutra­gen, eine Scenerie aus dem Mittelalter, aus dein Zeitalter Lndwig's XIV., des Directoriums, des Kaiserreichs sich rasch all Iioe zu construiren. Dingelstedt hatte bereits als Director des Wiener Hof­operntheaters gezeigt, welch wunderbar anschauliche Bilder großer Action er zu schassen im Stande war, bei den Auffüh­rungen desLohengrin", desTann­häuser" und anderer zur künstlerischen Ausstattung geeigneter Opern. Im Bnrg- theater bewies er dieses Können in noch höherem Maße, weil beschränktere räum­liche Mittel zu Gebote standen und der Charakter der Bühne das Uebermaß aus­schloß. Man hörte die verschiedenen Zei­ten der Geschichte nicht mehr bloß reden, man sah sie leibhaftig in Sitte, Brauch und Lebensart; zu dem Ensemble der Künst­ler gesellte sich das Ensemble von Wort, Handlung und Bild. Der Theaterdirector war hier zum Cnlturhistoriker geworden.

Bon großen Dingen haben einst die

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Dramaturgen geträumt. Aristoteles von der Katharsis, der Reinigung der Leiden­schaften, Schiller von der Schaubühne als moralischer Anstalt. Das ist vorüber. Dingelstedt begnügte sich, die Bühne in den Grenzen einer Volksbildungsanstalt zu erhalten Er konnte dies mit dem Schauspielermaterial, das ihm zu Gebote stand. Ein Adolf Sonnenthal, ein Josef Lewinski werden zu Volksbildnern, wenn ein Dingelstedt ihnen dazu die Pfade weist. Aber wo solches Material nicht vorhanden ist, da sinkt die Bühne allgemach zur aus­schließlichen Unterhaltungsanstalt herab; die Soubrette verdrängt den Tragöden.

Was etwa derNachtwächter" an Jenen gesündigt, welche ihn einst als Kameraden im politischen Streite betrachtet hatten, das hat der Theaterdirector reichlich ge­sühnt. Was aber die Zeit an ihm ver­schuldet hat, das sang er ohne Klage und Anklage in dem Epilog zu seinen Gedichten:

Die Zeit hat andre Ziele als die Kunst:

Ihr bester Geist verpufft in Dampf, in Dunst.

Und dennoch reizt wie ein vergrabner Schatz Mich stets ihr Kampf von Satz und Gegensatz,

Ihr Drang, der jede alte Form zerbricht.

Erfindet er die neue auch noch nicht,

Ihr ungestümer allgemeiner Schwung

Nach Macht, nach Freiheit und nach Einigung.

In solchen Zügen scheint die Gegenwart Mir wahlverwandt und meiner eignen Art.

Als an einem dieser schmerzensreichen Tage, die er vom Krankenlager aus dem Sterben zneilen sah, ein mehr als ge­wöhnlich lebhaftes Interesse an seinem Zustande in der Zahl theilnahmsvoller Anfragen znm Ausdruck kam, murmelte er bitter:Die Raben flattern schon, aber zu früh." Das war ein hartes Wort, ein Wort der Weltverachtung. Die Fort­dauer seines Namens wird zeigen, daß er die Menschen unterschätzte.