Heft 
(1881) 299
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Bcnckc: Nordsee! u ft

ausgestattet, nur durch Überarbeitung, andauernden Aufenthalt in geschlossener Zimmerluft oder infolge erblichen Man­gels an Spannkraft der Gewebe einen Zustand allgemeiner Abspannung oder Resistenzlosigkeit gegen äußere und innere Eindrücke beklagen. Aber selbst auch diese nur vorübergehend Geschwächten bedürfen aller Vorsicht beim Gebrauch des Bades und sollten sich stets erst einige Tage aus­schließlich dem Lnftgenuß hingeben, ehe sie das Bad in offener See aufsuchen. Auch hier giebt es einen Maßstab, und es ist derselbe, welcher für die ausschließ­lichen Luftcuren gilt. Bleibt die Körper­wärme den ganzen Tag über in angeneh­mem Grade erhalten, bleibt der Schlaf ruhig und erquickend, bleibt der Appetit ungestört, so leistet der Organismus die ihm zugemnthete Arbeit ohne jede Ueber- anstrengung, und das endliche Resultat der Kräftigung wird nicht ausbleiben.

Wir kommen zu einer letzten Frage. Wer häufig die deutschen Seebäder besucht hat, der kann nicht zweifelhaft darüber sein, daß dieselben bis dahin ganz vor­zugsweise von den wohlhabenden Classen der Gesellschaft besucht werden und daß deshalb auch nur diesen der große Segen des Aufenthaltes am Meere in ausgedehn­terem Maße zu Theil wird. Die Erklärung dafür liegt einfach in der Kostspieligkeit eines solchen Aufenthaltes. Aber nicht nur für jene Glücklichen, denen reiche Mittel zu Gebote stehen, auch für die weniger Bemittelten, unter denen wohl ebenso viele Kranke der Stärkung bedürfen, müssen die Inseln zugänglich gemacht werden. Im Falle des Unglücks oder des Unfalls will der Staat den Ar­beiter sichern. Ist es nicht eine der besten Versicherungen der Unbemittelteren, wenn wir Mittel und Wege zu finden suchen, um den erkrankten Familienvater der Fa­milie zu erhalten oder ihm die Last und Sorge erkrankter Kinder durch Herstellung oder Besserung der Gesundheit derselben abzunehmen oder doch zu erleichtern?

Das ist und war der leitende Gedanke, welcher zur Errichtung von Seehospizen für unbemittelte Kranke geführt hat.

Die älteste derartige Anstalt wurde bereits im Jahre 1796 in Margate, am Ausfluß der Themse, begründet. Die Zahl der Betten in derselben beträgt

und Nordsechospizc.

zweihundertundfünfzig. Gegen siebenhun­dert Kranke wurden im Laufe der letzten Jahre durchschnittlich jährlich in ihr verpflegt. Die Anstalt trägt den Namen einesdlatiorinl liospitnl lor tbs saro- s>luiIor>8 poor ob all blnAlancl", und in der That, sie ist zu einem Segen nicht einer Stadt, sondern des Landes und der Nation geworden. Das möge insonder­heit denjenigen gesagt sein, welche der Meinung sind, daß eine ähnliche Anstalt an den deutschen Seeküsten nur eine Be­deutung für die nördlichen Provinzen, nicht aber für den übrigen Theil Deutsch­lands habe! Lange Zeit stand diese Anstalt einzig und allein in ihrer Art da. Aber in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts begann es sich zu regen, und von jetzt an nahm die Zahl der See­hospize von Jahr zu Jahr zu.

Den ersten Anstoß zu dieser Bewegung gab der Professor Du. Barellai in Flo­renz und das von ihm ins Leben gerufene Hospiz in Viareggio. Diesem ersten ita­lienischen Hospiz folgten im Laufe der nächsten zwanzig Jahre gegen zwanzig ähnliche Anstalten, größere und kleinere; so in Livorno, Sestri, San Stefano, Ni­mmt am Lido in Venedig. Das letztere, eins der trefflichst eingerichteten, zählt dreihundert Betten, und die sämmtlichen Kosten desselben sind bis aus 1000 Lire, welche das Ministerium spendete, von den Comitati, von Provinzialräthen, frommen Instituten, Banken, Vereinen und Commu- nen aufgebracht. Auch die auf 40000 bis 60000 Lire sich belaufenden Jahreskosten werden aus solchen milden Beiträgen be­stritten.* Im Jahre 1861 begannen dann die ersten Anfänge des jetzt wohl umfangreichsten aller derartigen Hospize, des Hospizes in Berck mir mor an der Nord­küste Frankreichs. Dasselbe enthält sechs­hundert Betten und ist mit einem Kosten­aufwands von drei Millionen Francs her­gestellt. Die Armenverwaltung in Paris bestritt die ersten Kosten. Das Alter der in das Hospiz aufgenommenen Kinder schwankt von wenigen bis zu fünfzehn Jah­ren, und, was ausdrücklich hervorgehoben

* Vergleiche die treffliche Abhandlung von Pro­fessor Uffelmann überAnstalten zur Pflege unbe­mittelter scrophulöjer und schwächlicher Kinder" im !2. Bande der deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.