Issue 
(1880) 38
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l9<ö - Uuno Fischer in Heidelberg.-

der Vernunft; der Denker, dem die Philosophie diese große Erleuchtung verdankt, die ihre Wege bis heute gelenkt hat, war Immanuel Kant.

Zu den Vermögen der menschlichen Natur gehört auch die Ein­bildungskraft, die Schöpferin der Schönheit und Kunst. Wie sich die Wahrheit und ihre verschiedenen Arten die mathematische, physikalische, historische, sittliche mit einem Worte die besonderen Wissenschaften zu unserem Erkenntnißvermögen verhalten, so verhalten sich die verschiedenen Arten der Schönheit und Kunst zu den Mitteln und Organen unserer Einbildungs­kraft. Was nacheinander geschieht, die Zeitsolge der Empfindungen und Leidenschaften, der Begebenheiten und Handlungen, läßt sich von Seiten der Kunst poetisch durch das Lied, Epos und Drama vergegenwärtigen, aber nicht ebenso plastisch oder malerisch in der Totalanschauung einer oder mehrerer Gestalten vorstellen, die unserer Einbildung zugleich einlenchten. Eben so wenig läßt sich ein solches Bild in eine Beschreibung durch Worte ver­wandeln, ohne die volle und eigenthümliche Kraft seiner ästhetischen Wirkung einznbüßen. Es ist zu fürchten, daß die Nichtbeachtung der natürlichen Grenzen unserer Anschauungs- und Einbildungsvermögen in dem Gebiete der Schönheit und Kunst ähnliche Verwirrungen und unechte Vorstellungen zur Folge haben wird, als die Nichtbeachtung der Grenzen und Bedingungen unserer Erkenntnißvermögen in dem Gebiete der Wahrheit und Wissenschaft. Die Kunst kann ebenso kritiklos handeln, als die Philosophie. Daher müssen beide nach der Richtschnur der menschlichen Natur ihre Kräfte prüfen und brauchen, um echte Wahrheit und echte Schönheit hervorzubringen. Hieraus erleuchtet sich die Parallele zwischen einer solchen Vernunftkritik und einer solchen Kunstkritik: zwischen Kant, der die Erkenntnißvermögen schied, indem er die Grenzen des sinnlichen und intellectuellen feststellte, und Lessing, der in seinem Laokoondie Grenzen der Malerei und Poesie" aus dem Wesen beider Kunstarten, aus den Elementen der plastischen und poetischen Einbildungskraft darlegte. Diese Aehnlichkeit zwischen Kant und Lessing ist so sprechend, der Laokoon unter den Werken des letzteren so bedeutungsvoll und hervorragend, daß wir sogleich erkennen, wie in dem Reformator unserer Literatur der kritische Scharfsinn eine ebenso unentbehr­liche und berufene Kraft sein mußte, als das poetische Vermögen. Lessings reformatorischen Charakter richtig würdigen, heißt einsehen, wie diese beiden Factoren in ihm vereinigt waren: der kritische Kopf und der Dichter.

Es giebt eine Kunst, welche die Alten die königliche genannt haben: die des Herrschend Auch sie kann ohne Einsicht, ohne Kritik geübt werden nach dem ,chon xlaisir" des gekrönten Individuums, das in seiner Macht nur die Mittel seines Genusses und in seiner Person den Staat sieht. In der fürstlichen Stellung den großen menschlichen Beruf, in der fürstlichen Macht die Aufgabe des höchsten Staatsdienstes erkennen: das ist die kritische Ein­sicht ans dem Thron, die den echten Herrscher vom unechten scheidet. Ein solcher Meister der königlichen Kunst war Friedrich der Große. Unter