Issue 
(1880) 40
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Paul Peyse in München.

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klüger ist als mancher Mensch, glauben Sie mir, die liegt manchen Tag und sinnt darüber nach, warum Gut und Bös auf der Welt so ungleich ver­theilt ist, warum sie Nichts haben soll, als ein verhunztes Leben, und ihre

Schwester herrlich und in Freuden dahintrabt, und warum es unser Herr­gott nicht wenigstens so eingerichtet hat, daß auch die Esel in den Himmel

kommen, um für Alles, was sie an Schinderei und Plackerei, an Prügeln und

Messerstichen ausstehen gemußt, ihren Lohn kriegen".

Diese letzte lange Rede hatte sie mit solcher Heftigkeit herausgesprudelt, daß sie einen Augenblick nach Luft schnappen mußte. Dann strich sie die losen Haare in den Nacken zurück, knüpfte ihr Kopftuch fester und nahm den Topf mit Rüben in den Arm.

Ich muß hinein, Herr", sagte sie ganz heiser,sonst kann ich hungrig zu Bette gehen. Kennen Sie den Herrn Landrichter und seinen sauberen Herrn Sohn? Nun, es ist auch einerlei. Er wird's wohl nicht eher als vor Gottes Thron eingestehen, was er an meinem Mädel verbrochen hat und an der Minka. Und übrigens, warum sollte er sich Gewissensbisse machen? Sie Halls nicht besser gewollt, wir Alle wollend ja nicht besser; wären wir nicht dumm, ihr Mannsbilder könntet nicht schlecht sein. So wird's bleiben, so lange die Welt steht. Am jüngsten Tag werde ich mich auch nicht darüber beschweren, aber daß ich unfern Herrgott fragen werde, ob nicht auch die Esel in den Himmel kommen, darauf köunen Sie sich ver­lassen, darauf können Sie sich heilig verlassen!"

Sie nickte heftig vor sich hin, ging an mir vorbei, ohne mich noch einmal anzusehen, und verschwand im Hause. -

Ihr könnt denken, daß, während ich den Abhang hinunterstieg, an dem schwarzen Wasser vorbei, und endlich das Städtchen erreichte, Alles, was ich droben gehört und gesehen, mich beständig verfolgte. Auch wie ich dann im Wirthshaus unten glücklich ein Wägelchen aufgetrieben hatte und nun auf der Landstraße dem schwägerlichen Hause entgegenrollte, stand das Bild der Alten und mehr noch das ihrer blonden Tochter mit dem nackten Würmchen an der Brust zum Greifen leibhaftig vor meiner Seele. Es fügte sich, daß mein Kutscher ein ältlicher Mensch war, der auf meine Frage nach den Be­wohnern des Häuschens droben mir den zuverlässigsten Bescheid geben konnte. Er entsann sich noch sehr gut, wie vor zwanzig Jahren die Life Lamitz hier plötzlich aufgetaucht war. Ihre eigene Heimath war ein benachbarter Ort, wo aber, da ihre Mutter gestorben und ihre Papiere nicht in Ordnung waren, die Gemeinde sie nicht aufnehmen wollte. Sie habe in Prag in einem vornehmen Hause gedient und sich ganz brav gehalten, bis einer der Söhne des Hauses, ein Offizier, in der Langenweile eines Urlaubs ein Auge auf sie warf. Selbst mit Dreißigen sei sie noch eine stattliche Person gewesen, trotz ihrer Plattnase und den breiten Backen, ein Mädel, dem was Besonderes aus den Augen blitzte, und wenn sie gelacht habe, was freilich nicht oft ge-