Issue 
(1880) 40
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- Lin Blick von der politischen warte. - sss

neuen Reichstage zurückweichend, seine Demission gab, wurde aus dem Kreise specifisch preußischer Staatsmänner ein in besserer Fühlung mit dem Parlamente stehender, auch mit der inneren Verwaltung mehr vertrauter Nachfolger ernannt. Selbstverständlich war dieser Schritt für den Augenblick nur

geeignet, die Gegensätze noch zu verschärfen. Der neue Kanzler gab sich keine Mühe, seine Gesinnung zu bemänteln oder zu verbergen. In seiner ersten Rede erklärte er, daß er ein Preuße, und als solcher ein Deutscher sei. Das war siir alle offenen und geheimen Gegner eine verständliche Sprache. Natürlich hatte er auch nicht zu sagen unterlassen, daß er die Geschäfte in ächt Bismarckschem Geiste zu handhaben gedenke. Diese Redewendung durfte nicht fehlen. Sie war längst der unentbehrliche Gemeinplatz aller öffentlichen Reden geworden, wie es etwa in England das bekannte von Nelson am Morgen der Schlacht von Trafalgar gesprochene Wort bis aus den

heutigen Tag ist. Erklärlicher Weise nahmen nun die Frictionen im Bundes- rathe zu, und stärkten die Position des Reichstages gegenüber den Zwecken der Regierungen in hohem Grade, was bei der Zusammensetzung dieser Körper­schaft vornehmlich den liberalen Parteien zu Gute kam. Man sprach bereits offen, selbst in der osficiösen Presse, von der Gegnerschaft einer mitteldeutschen

Gruppe gegen die Preußische Stellung im Reich. Und als der neue Kanzler

in einer der folgenden Sitzungen des Bundesraths in unverblümter Form erklärt hatte, daß er sich seiner Position wohl bewußt sei, und sich durch keine Hindernisse von der Verfolgung seiner Politik zurückschrecken lassen werde, erhielt er die Antwort in einem von jener Gruppe dem Bnndesrath unterbreiteten Antrag, worin man die Abstellung verschiedener als verfassungs­widrig bezeichneten Verwaltungsacte verlangte. Als solche wurden erklärt: die Einsetzung preußischer Minister zu Chefs gewisser Reichsämter, und die Bestellung von preußischen Bundesrathsbevollmächtigten aus der Zahl der hervor­ragenden deutschen Reichsbeamten. Außerdem wurde nun definitiv eine Klar­stellung der Befugnisse des Ausschusses für das Auswärtige gefordert, und ein ent­sprechend formulirter Antrag vorgelegt. Die Entscheidung des Bundesraths wurde augerufen unter Bezugnahme auf Artikel 76 der Reichsversassuug, welcher dieses verfassungsmäßige Organ zum Schiedsgerichte bei Streitigkeiten zwischen den einzelnen Bundesstaaten bestellt. Diese Wendung der Dinge ries begreiflicherweise die größte Aufregung hervor. Kaum zwei Jahre war Bismarck von den Geschäften zurückgetreten, und bereits war man dabei ange­langt, die Grenzen der Befugnisse der Reichsregierung einem Richterfpruch zu unterstellen. In heftigster Weise entwickelte sich sofort der Kampf der Parteien in der Presse und in politischen Versammlungen. Man bestritt die Competenz des Bundesrathes für die Entscheidung der aufgeworfenen Frage. Es wurde in Abrede gestellt, daß der Art. 76 auf Streitigkeiten der einzelnen Bundesstaaten über ihre Stellung zum Reiche Bezug habe. Es wurde deducirt, daß die Leitung des Staatswesens unmöglich sei, wenn die Regierungshandlungen des Kaisers dem Spruche eines Gerichts unter-

Nord un) Süd. XIV, 40. 8