- Das Rosenkreuz. - H29
nachdem der Druck verschwunden, mit welchem das mittelalterliche Religious- und Kirchenideal darauf gelastet hatte.
Wie sich mit solcher Erweiterung der Folgen der Reformation und mit der Aufhellung des Bewußtseins über diese Folgen schritthaltend auch die Benutzung des Rosenkreuzes umfassender und eigenthümlicher gestaltete, davon giebt uns zunächst Kunde seine merkwürdige, vielbesprochene Verwendung durch den württembergischen Theologen und reformatorischen Schriftsteller Valentin Andrea in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts.
Das neue Symbol war in den Kreisen Luthers mit Verständniß ergriffen worden und wurde gern bei schicklichem Anlaß verwendet. Im Jahre 1530 entstanden, findet es sich schon zwei Jahre später auf Titeln gedruckter Lutherischer Predigten nachgebildet; es liegt dem bekannten, oft Luther selbst zugeschriebenen Verse zu Grunde:
Des Christen Herz auf Rosen geht,
Wenn's mitten unterm Kreuze steht —
selbst einer Predigt aus dem Ende des sechszehnten Jahrhunderts finde ich es gleichsam als Text unterbreitet, indem die Tröstungen des Kreuzes darin nach Kanzelbrauch in säuberlicher Dreitheilung geschieden worden in das erste Röslein, das zweite Röslein, das dritte Röslein. So führte denn auch Jakob Andreä, Professor zu Tübingen, der hauptsächliche Autor der Coucordienformel, wahrscheinlich in Anknüpfung an Luthers Petschaft in dem Familienwappen, das ihm Pfalzgraf Otto Heinrich 1554 stiftete, ein Kreuz zwischen vier Rosen, und hieran knüpfte sein Enkel, der genannte Valentin Andreä, eine Reihe sonderbarer, theils phantastisch spielender, theils tiefsinniger Geistesproductioneu*). Schon in den Jahren 1602 und 1603, als siebzehnjähriger Jüngling, beschäftigte er sich mit der Dichtung eines Romans, dessen Helden er C hristian Rosenkreuz nannte, anfänglich wohl nur, um seine Verfasserschaft durch Anspielung auf sein Familienwappen geheimnißvoll anzudeuten. Er charakterisirte dieses Buch später in seiner Selbstbiographie als ein satirisches Spiel mit den Ungeheuerlichkeiten und der Wundersucht des Zeitalters, als eine Fopperei der Neugier und Leichtgläubigkeit. Unter dem Titel „des Christian Rosenkreuz chymische Hochzeit" ließ es seinen Helden die Hochzeit eines Königs besuchen, der ihn in einem verborgenen Schlosse in wunderbare Abenteuer verwickelt uud in Zauber- und Goldmacherkünste einweiht, also in jene höhere Chemie oder Chymie (Alchymie), die als Modenarrheit zu verspotten die Hauptabsicht des Verfassers war. Nachdem das Buch zwölf Jahre lang im Manuscript die Runde gemacht, ließ er zunächst für die Oeffentlichkeit zwei neue Schriften vorausgehen, welche einerseits die Mystifikation fortsetzten und weiterspauuen, andrerseits eine ernste resormatorische Tendenz als den wahren Kern dieser
*) Schon Arnold's „Uupartheyische Kirchen- und Kctzerhistorie", 1699, II, S. 613, weist auf den Zusammenhang derselben mit Luthers Petschaft hin.