Das Rosenkrenz.
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literatur irgendwo auf die Ähnlichkeit hingewiesen istZ, welche sich zwischen den phantastischen und satirischen oderauch Zukunftsideale zeichnenden Romanen Valentin Andreas und dem „Wilhelm Meister" bemerkbar macht, dem Romane Goethes, den alle diese Prädicate — auch das des Satirischen nicht ganz ausgenommen — gleichfalls charakterisiren. Die Ähnlichkeit liegt aber keineswegs nur in diesen allgemeinen Charakteren und etwa in dem Mystischen und Mysteriösen nur als solchem; auch einzelne Motive der Erfindung zeigen sich übereinstimmend: geheimnißvolle Schlösser, abenteuerreiche Wanderungen, weitverzweigte, in tiefer Verborgenheit gepflegte Bündnisse, die ihren Gliedern seltene Lebensweisheit in kurzen Sprüchen darbieten und auf nichts Geringeres angelegt scheinen, als aus Erneuerung von Kirche, Staat und Gesellschaft. Den Werth und die Bedeutung dieser Parallelen muß es offenbar erhöhen, wenn wir Goethe in den letzten Jahren vor der italienischen Reise, als er den Meister wieder ausgenommen hatte und rasch förderte, gleichzeitig mit einem großen Gedichte beschäftigt sehen, welches beinahe in all den erwähnten Charakterzügen und Eigenheiten dieselben Parallelen darbietet, und — das Symbol des Rosenkreuzes diesen Parallelen neu hinzufügt. Wir wissen ja ferner, daß die „Bekenntnisse einer schönen Seele" und die anziehende Gestalt Makariens in den „Wilhelm Meister" aus den Erinnerungen an Fräulein von Klettenberg übergegangen sind, an jene fromme, phantasiereiche Freundin, welche den nach der Vaterstadt krank zurückgekehrten Jüngling nicht nur in ein mystisch aufgefaßtes Christenthum, in die Seligkeiten frommen Entzückens einführte, sondern auch alterthümliche, magische und alchymistische Naturansichten bei Theophrastus Paracelsus, Helmont u. A. dgl. mit ihm studirte. Sollte da nicht auch die „Chymische Hochzeit" gelesen worden sein und sollten Neniiniscenzen aus ihr dann nicht ebenso, wie Anderes aus dieser Klettenberg-Periode, in den „Wilhelm Meister" und zugleich in jenes andere Gedicht eingedrungen sein?
Dieses Gedicht wuchs bis zu vierundvierzig Stanzen, welche unter dem Titel „Die Geheimnisse ein Fragment", nebst einer dem Bande angehängten Erläuterung, sich in Goethe's Werken finden, die herrlichsten Ottaverime, die je in deutscher Sprache gedichtet wurden, und Bruchstück eines Werkes, das, wenn es vollendet worden wäre, vielleicht als das eigentliche Lebenswerk des Dichters gelten, und denselben Rang für die poetische Ausprägung des modernen Lebensideals und des christlichen Classicismus beanspruchen würde wie Dante's Göttliche Comödie für die des mittelalterlichen Jdeenkreises.
Sogleich der Anfang des Gedichtes gemahnt an die gemeinsamen Eigenheiten des Goetheschen Meister und jener romanhaften Schriften Andreäs:
*) Düntzers Commentar zu „Wilhelm Meister" z. B. enthält nichts davon- Auch in C. F. Göschcls Schriften zu Goethe, wo verstecktere Beziehungen sonst gar zu gern herangezogen werden, fand ich keine daraus zielende Bemerkung.