Heft 
(1878) 19
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Damen, und erfüllte mit zwanzig Jahren die auf eine glänzende Partie gerichtete Hoffnungen beider Eltern: im Herbst 1770 wurde sie Gräfin Pudagla.

Graf Pudagla, ein Vierziger, hatte die Feldzüge mit­gemacht, am Tage von Leuthen sich ausgezeichnet, und stand bei Schluß des Krieges als Rittmeister im Dragonerregiment Anspach und Bayreuth. Eine glänzende militärische Laufbahn schien ihm gesichert. Bei der zweitfolgenden Revue aber sah er sich vom König, der einen groben Fehler wahrgenommen zu haben glaubte, mit harten Worten überhäuft, in Folge dessen der Graf den Abschied nahm. Er zog sich auf seine reichen, die halbe Insel Usedom einnehmenden Besitzungen zurück, be­suchte während mehrerer Jahre die westeuropäischen Haupt­städte und gab bei seiner Rückkehr, durch Annahme eines Prinz Heinrichschen Kammerherrntitels seiner Unzufriedenheit einen offenen Ausdruck. Er wollte zu denFrondeurs" gezählt sein, die der Prinz bekanntermaßen um sich versammelte. Einige Wochen später vermahlte er sich mit der schönen Amdlie von Bitzewitz, woran sich nach einem kurzen Aufenthalt auf den pommerschen Gütern die Uebersiedelung uach Rheinsberg schloß.

Die Vortheile, die der kleine Hof aus der Anwesenheit des Grafen zog, waren, so weit seine eigene Person in Betracht kam, gering. Er hatte, wie seine Gemahlin ihm gelegentlich vorwarf,na t'oiiä cku oosar" eine Abneigung gegen den Prinzen, nahm Anstoß an den Sitten, an dem Schmeichelkultus und der hochmüthigen Kritik, die hier ihre Stätte hatten, und war jedes­mal froh, wenn er nach Wochen kurzen Dienstes wieder auf seine heimatliche Insel zurückkehren, der xatorim rui-a sich er­freuen und in die englischen Parlamentskämpfe sich vertiefen konnte. Denn er liebte England und sah in seinem Volk, seiner Freiheit, seiner Gesetzlichkeit das einzige Staatenvorbild, dem nachzueifern sei.

Aber so viel an Anregung und Huldigung der Graf ver­säumen mochte, die Gräfin glich diese Versäumnisse mehr als aus. Sie war in kürzester Frist die Seele der Gesellschaft und beherrschte wie den Hof, so auch die Spitze desselben, den Prinzen, eine Erscheinung, die nur diejenigen überraschen konnte, die den gefeierten Bruder des großen Königs einseitiger und äußerlicher nahmen, als er zu nehmen war. Denn während er die Frauen haßte, fühlte er sich doch ebenso zu ihnen hin­gezogen. Voll Abneigung gegen das Geschlecht als solches, so­bald es allerhand ihm unbequeme Forderungen stellte, war er doch ästhetisch geschult und feinsinnig genug, um die eigen- thümlichen Vorzüge des weiblichen Geistes: Unmittelbarkeit, Witz und gute Laune, Schärfe und Tresfendheit des Ausdruckes herauszufühlen. So vollzog sich das Widerspruchsvolle, daß an einem Hofe, der die Frauen als Frauen negirte, eben diese Frauen doch herrschten, und zwar herrschten, ohne auch nur einen Augenblick auf ihre allerweiblichsten Eigenarten und Un­arten verzichten zu müssen. Der Prinz hatte nur das Bedürf- niß persönlichen Verschontbleibens; im übrigen tolerirte er leicht den Sittenpunkt nicht ängstlich wägende Lebens- und Umgangsformen, die ihm, weil einen unerschöpflichen Stoff für seine sarkastische Laune, eben deshalb einen bevorzugten Gegen­stand der Unterhaltung boten. Die Liebesintrigue stand in Blüte wie jede andere; an unsere junge Gräfin aber knüpfte ihn die Wahrnehmung, daß sie, an Kühnheit der Anschauungen mit ihm wetteifernd, auf die Bethätigung dieser Anschauungen verzichtete und keinen Augenblick dem Verdachte Nahrung gab, ihre Grundsätze nach ihrer Lebensbequemlichkeit gemodelt zu haben. Ein neuer Widerspruch, so schien es.

Aber auch dieser löste sich. Was der Prinz an ihm ur­sprünglich gewiß erwünschter Gelegenheit zum Spott dadurch einbüßte, wurde ihm sehr bald durch eine noch erwünschtere Ge­legenheit zu aufrichtiger Huldigung ersetzt, denn wie alle außer­halb des sittlichen Herkommens Stehende, barg er, hinter dem Unglauben an einen reinen Wandel, nur den im tiefsten ruhen­den Respekt vor demselben. Unerschüttert in seinen Allgemein­anschauungen, sah er in der Gräfinden Ausnahmefall, der ihm die Regel bestätigte", und beglückwünschte sich, weit über landläufig-kleine Verhältnisse hinaus, intimste Beziehungen zu einer Frau unterhalten zu dürfen, die, mit allen Vorzügen der

weiblichen Natur ausgestattet, zugleich frei von allen Schwächen derselben war. Eine Spezialfreude gewährte ihm die Gräfin noch dadurch, daß sie für ihren Gemahl dieselbe heitere Kühle hatte, wie für alle andern Mitglieder des Rheinsberger Hofes, und die Frage nach der Fortdauer des Hauses Pudagla mit nie gestörter Gleichgiltigkeit behandelte.

Einer ihrer hervorstehendsten Züge war die Offenheit. Sie wußte, daß sie mehr sagen durfte als andere, und sie bediente sich dieses Vorrechts, Eine Mischung von Pikanterie und Grazie, über die sie Verfügung hatte, gestattete ihr Gewagtheiten, die vielleicht keinem anderen Mitglieds des Hofes mit gleicher Be­reitwilligkeit verziehen worden wären; das eigentliche Geheim - niß ihrer andauernden Gunst aber war, daß sie die verschie­denen Gebiete der Unterhaltung auch verschieden zu behandeln und genau zu unterscheiden wußte, wo Gewagtheiten allenfalls noch am Platze waren und wo nicht. Wenn ihre Offenheit groß war, so war ihre Klugheit doch noch größer. Das philo­sophische Gebiet, die Kirche, die Moral bildeten einen weiten nirgends durch Schnurleinen eingeengten Tummelplatz, während die Politik bereits einzelne mit bezeichnte Partien,

das militärische Gebiet aber namentlich die Geschichte des ! letzten Krieges ein durchaus difficiles, weil überall mit den ! Eitelkeiten des Prinzen in Zusammenhang stehendes Terrain ! aufwies. Dieser Unterschiede war sich die Gräfin jederzeit be­wußt, und während sie vielleicht eben noch in Beurtheilung einer voltairisch aufgefaßten Jeanne d'Arc bis an die Grenze des Möglichen gegangen war, unterließ sie doch nicht, bei dis­kursiver Behandlung irgend einer prinzlichen Schlachtengroßthat sofort den Ton zu wechseln und an die Stelle unerschrockenster ^ Behauptungen die allerloyalsten Huldigungen treten zu lassen. ! Im Darbringen solcher Huldigungen sei es von ungefähr j im Gespräch oder sei es vorbereitet in großen Festlichkeiten ^

war sie unerschöpflich, und wenn sich der Prinz selbst nach eben !

dieser Seite hin eines wohlverdienten Rufes erfreute, so zeigte sie sich mindestens als seine gelehrige Schülerin. Ihre voll­kommene Gleichgiltigkeit gegen militärische Schaustellungen und kriegerische Aktionen besaß sie Kraft genug, hinter einem er­heuchelten und deshalb um so lebhafter sich geberdenden Inter­esse zu verbergen. Sie wußte, daß wer den Zweck wollte, auch die Mittel wollen mußte, und so waren denn die Prinzen­schlachten ihrem Gedächtnisse bald sicherer eingeprägt, als die Feste des christlichen Kalenders. Nie verging der sechste Mai, der Jahrestag der Prager Affaire, ohne irgend eine solenne Bezugnahme darauf. Da gab es immer neue Ueberraschungeu: gestickte Teppiche mit dem Hradschin und der Moldaubrücke, fammt vier Grenadiermützen in den Ecken; Tableanx vivants, in denen Mars und Minerva, sich überholt fühlend, vor der höheren Rheinsberger Gottheit ihr Knie beugten; Dialoge, ganze Stücke, mit Griechen- und Römerhelden, mit Myrmidonen und Legionen, die sich dann schließlich immer als Prinz Heinrich und das die Prager Höhen erstürmende Regiment Jtzenplitz entpuppten. Sprach sich in diesem allen eine Kunst der Erfin­dung aus, so war die Kunst des Schweigens, des Unterdrückeus und Verleugnens, die beständig geübt wdrden mußte, kaum ge­ringer.

Schwerins mit der Fahne" durfte nie gedacht werden; ein Hinweis auf diesen großen Prager Rivalen würde nur zu den ernstesten Verstimmungen geführt haben, und der Prinz, von dem Wunsche erfüllt, einen solchen störenden Zwischenfall von vornherein ausgeschlossen zu sehen, hatte nicht Anstand ge­nommen,den auf allen Jahrmärkten besungenen Heldentod" einfach als eineBotise" zu bezeichnen.

All diesen Eigenarten, auch wo sie sich bis zur Laune und Ungerechtigkeit steigerten, wußte sich die Gräfin zu bequemen, und ihrer Mühen Lohn war eine sechzehnjährige Herrschaft. Erst das Jahr 1786, ohne diese Herrschaft zu beseitigen, schuf doch einen Wandel der Verhältnisse überhaupt. Der große König starb und sein Hinscheiden ermangelte nicht, auch das Rheinsberger Leben empfindlich zu berühren. Der kleine Hof wurde wie auseinander gesprengt; alle freieren Elemente des­selben, die großentheils mehr aus Opposition gegen den König, als aus Liebe zum Prinzen sich um diesen geschart hatten,