Issue 
(1878) 28
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Ein deutsches Famlienblatt mt Illustrutinuen.

Erscheint wöchentlich nnd ist durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 2 Mark zu beziehen.

Kann im Wege des Buchhandels auch in Heften bezogen werden.

XIV. Jahrgang. A>lSMbc,i»i3. AM 1878. gttch

vom Wobei! 1877 bis bnhin 1878. 1878 . 28 .

Aas Much Sirach.

Reichsstadtnovelle von Gottfried Köhin.

(Schluß.)

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.

Eines fehlt noch, um das Maß der ehelichen Unerträg­lichkeit voll zu machen, und auch dieses eine trat zum übrigen hinzu.Gute Freundinnen" hinterbrachten Ursel, daß Sixt an anderen Weibern mehr Gefallen finde als an ihr, und daß er insbesondere die Wirthin vom goldenen Stern, einer Wein­kneipe, in der er Stammgast war, über Gebühr anszeichne. Man wollte ihn einmal gesehen haben, wie er einen Kuß auf ihren lachenden Mund gedrückt, und viele Stunden verplaudere er allein in ihrer zweideutigen Gesellschaft.

Diese Nachricht brachte Ursel vollends außer sich. Sie, die so kalt schien, war von einer Eifersucht, welche die Leidenschaft­lichsten in Schatten stellte. Darauf hin wurde sie ordentlich mittheilsam und suchte den Umgang der Nachbarinnen, die schadenfroh das Feuer schürten, indem sie ihr neue Details zu- trngen. Nach ihren Reden zu schließen, sing das Verhalten Sixts ail, öffentliches Aergerniß zu geben. Ursel wußte sich ihres Jammers kein Ende. Vergebens sah sie sich nach einer Stütze um; ihre bisherige Schroffheit rächte sich nun an ihr: sie stand allein.

Da, in der äußersten Noth kam ihr der Gedanke, sich an ihren Beichtvater zu wenden. Sie war von jeher, wenn nicht eine eifrige Christin, so doch eine eifrige Kirchgängerin ge­wesen und hoffte instinktiv von der Seite her Hilfe, mit der sie so lebhaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit hatte.

Der Geistliche hörte sie etwas zerstreut an. Solche Ver­hältnisse wurden ihm tagtäglich zu viele vorgetragen, als daß er für das einzelne ein allzu reges Interesse übrig gehabt hätte. Er srug Ursel, ob denn ihr Mann gar keine Religion mehr habe, und als sie ihm gestand, daß er, so lange sie ihn kenne, in keine Kirche gekommen sei, gab er ihr den Rath, ihn wieder auf den Weg des Heils zurückzuführen, indem sie manchmal ein Lied mit ihm singe, ein Gebet mit ihm spreche oder ihm ein Kapitel aus der heiligen Schrift vorlese.

Die Befolgung dieses gutgemeinten Rathschlages konnte schon deshalb keinen Erfolg haben, weil Ursel, wie man zu

sagen pflegt, mit der Thüre ins Hans fiel. Allabendlich fing sie nun laut und inbrünstig an zu beten, des Sonntags sang sie mit schmetternder Stimme ein Kirchenlied nnd las dann ein Kapitel aus der Bibel vor, so ernst und feierlich, als wolle sie ihren: Gatten, wie er sich ausdrückte,den Teufel aus- treiben".

Anfangs zuckte Sixt die Achseln, dann hielt er sich die Ohren zu, endlich verbat er sich ein solches Gebühren allen Ernstes, und als Ursel ihn srug, ob ihm denn der Sinn für das Heilige und Ueberirdische ganz abhanden gekommen, und ob er sich denn gar nicht seiner Sünden fürchte, lachte er höhnisch vor sich hin und sagte, von der ganzen heiligen Schrift gefalle ihm am besten das Büchlein Sirach; da seien Kernwahrheiten darin enthalten und nur schade, daß der Mensch dies immer erst einsehe, wem: es zn spät sei. Mit diesen Worten nahm er die Bibel an sich und, indem er den Toi: von Ursels Stimme nachäffte, las er:

Ich wollte lieber bei Löwen und Drachen wohnen, denn bei einem bösen Weibe.

Wenn sie böse wird, so verstellet sie ihre Geberde und wird so scheußlich wie ein Sack.

Ihr Mann muß sich ihrer schämen, und wenn man es ihn: vor­wirft, so thnt es ihm im Herzen weh.

Alle Bosheit ist gering gegen Weiberbosheit.

Wenn ein Weib den Mann reich macht, so ist da eitel Hader, Verachtung nnd große Schmach."

Sixt suchte noch weiter nach solchen Kraftstellen, die ihn: in der That auf den Leib geschrieben zu sein schienen; aber ehe er wieder anknüpfen konnte, wurde er in seinem Beginnen von Ursel gewaltsam unterbrochen.

Als sie sah, wie man sie ans den: Buche selbst widerlegte, mit den: sie ihn hatte überwinden wollen, daß man ans sie, die sie doch so rechtschaffen und gottesfürchtig zu sein wähnte, mit einem Schein von Berechtigung das schlimmste Verdikt der Schrift anwandte, da kan: über sie, wie sie selbst schilderte, ein unbezähmbarer heiliger Zorn; ihrer selbst nicht inehr mächtig,

XIV. Jahrgang. 28. I.

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