4^2
entriß sie dein Frevler die schwere messingbeschlagene Bibel und schleuderte sie ihm ins Gesicht, daß ein schwarzer Blutstrom ans Mund und Nase quoll.
Damit schien das Maß voll zu sein. Sixt setzte sich nicht zur Wehr; er sprach kein Wort. Bleich wie ein Leichentuch erhob er sich vou seinem Sitze und wischte sich das reichlich sließende Blut aus dem Gesicht.
Von dieser Stunde an war er wie umgewandelt. Er berührte keine seiner Kriegswaffen mehr, mit denen er bisher so gern geprunkt hatte; er ging selbst nicht mehr in die Wirthshäuser und es war, als ob er das Antlitz der Menschen scheue. Ein finsterer Ernst, eine erschlaffende Traurigkeit verbreiteten seitdem ihre Schatten über seine einst so heitere Gestalt, stundenlang saß er schweigend in einem Winkel und „sin- nirte so still vor sich hin".
Auf Ursels Fragen nach seinem Vorhaben stand er nicht Red' noch Antwort, aber sie suhlte, daß er etwas Entsetzliches im Schilde führe. Obwohl er sich damals äußerlich so lenksam und nachgiebig erwies wie nie zuvor, bangte ihr doch unsäglich vor ihm, und sie verschloß des Nachts ihre Kammerthür, gleich als sei er im Stande, Hand an sie zu legen.
Dieser entsetzliche Zustand dauerte eine lange bange Woche. Für den darauf folgenden Sonntag hatte sie sich nach einer- schlaflosen Nacht vorgenommen, eindringlich mit ihm zu reden und ihm noch einmal beweglich sein Unrecht vorzustellen. Denn daß sie ganz allein im Rechte und er ganz allein im Unrechte sei, das glaubte sie noch immer felsenfest, wenn sie vielleicht auch zugestand, die Grenzen der erlaubten Selbsthilfe einigermaßen überschritten zu haben.
Als sic jedoch in dieser versöhnlichen Absicht die Stube betrat, saß Sixt nicht auf seinem gewöhnlichen Platze. Er war auch nicht in seiner Kammer und nicht in Hof und Garten. Ursel machte sich daran, die Stube festtäglich zu scheuern. Ihre Gedanken freilich waren nicht bei der Arbeit, und des öfteren geschah es ihr, daß sie mitten in ihrer Beschäftigung innehielt und wie versteinert ins Leere starrte. Dann setzte sie sich und wartete, bis er etwa von einem frühen Gange heimkehren möge.
Der Morgen verging im Nu; die Mittagsstunde schlug vom Thurm; unberührt stand der dampfende Sonntagsbraten auf dem Tische. Der Nachmittag warf feine längeren Schatten durch die kleinen runden Butzscheiben der Stube, und noch immer kam Sixt nicht. Da stieg eine beklemmende Angst in ihrem Herzen auf, und als die frühe Dämmerung des Winterabends anbrach, litt es sie nicht länger im Hause. Ohne sich klar zu sein, wohin sie wolle, ging sie auf die Straße. Am Fenster des goldenen Sterns lauschte sie, ob sie nicht seine Stimme vernehme, Bekannte von Sixt, die ihr begegneten, frug sie, ob sie ihn nicht gesehen hätten, und auch bei den Thoren erkundigte sie sich, ob er sie nicht passirt habe.
Niemand hatte ihn gesehen, niemand wußte Aufschluß über ihn zu geben. Zögernd lenkte Ursel ihre Schritte wieder heimwärts zu dem Hause mit den drei Schwertern. Der Weg führte sie über eine Brücke. Unwillkürlich warf sie einen scheuen Blick in den Fluß, als suche sie das Bild des Verlorenen in der matt erleuchteten Flut.
Aber schnell verscheuchte sie diesen Gedanken wieder und klammerte sich an rege Hoffnungen fest. Sie lauschte auf jeden Ton in ihrem Hause, auf das Picken der Uhr, das Raspeln der Ratten, den Rumor der Fledermäuse im Giebel; auf jeden Schritt verspäteter Wirthshausgäuger, der des Nachts durch die stillen Straßen der Stadt hallte. Alles kam und ging den gewohnten Gang, nur Sixt Dornbnrsch war und blieb verschwunden! ^ 2
*
Dies waren zusammengestellt und erläutert die Aussagen, welche die Schwertursel halb unter lauten Selbstanklagen, halb mit Beschönigungsversuchen auf dem Rathhause zu Protokoll gab. Darauf war sie wieder in ihr provisorisches Gefängniß zurückgeführt worden, und man hatte bei so mangelhaften Jn- dicien von der Anwendung der Folter Umgang nehmen zu sollen geglaubt.
Ans die Mehrzahl ihrer Richter hatten ihre Worte im
Großen und Ganzen den Eindruck der Wahrheit gemacht, aber sie ahnte nicht, daß, indem sie zum Zweck ihrer Vertheidigung ihrem Redestrom abermals einen so freien Lauf gönnte und die feinsten Beziehungen ihres Familienlebens bloslegte, sie die Maschen eines neuen Netzes über ihrem Haupte zusammenzog und eine neue Schmach über ihr Haus heraufbeschwor.
Männer verschwinden nicht wie Rauch und Dampf in der Lust, ohne Spuren zurückznlassen, und da solche sich auch unterdessen trotz der eifrigsten Nachforschungen nirgends in der Stadt gezeigt hatten und die Thorwächter auf das energischste auf ihrer Aussage beharrten, es sei bei der strengen Kontrole, der in den unruhigen Zeitläuften jeder Passant unterzogen wurde, nicht denkbar, daß Sixt Dornbnrsch „ihnen ausgekommen", lag es nahe genug, nachdem der Verdacht des Mordes fallen gelassen war, an Selbstmord zu denken. Diese Annahme, zu der schon die Enthüllungen Ursels über die zerrütteten Verhältnisse ihres Hausstandes und das tiefsinnige Gebahren ihres Mannes in den letzten Tagen seiner Anwesenheit mancherlei Anhaltspunkte boten, wurde noch durch die Aussage eines Zeugen wesentlich bekräftigt, der sich, angeregt durch das viele Gerede, welche die Sache von sich machte, auf einmal besann, in der Nacht vor dem Verschwinden Sixts ein ganz merkwürdiges „Plumpsen" in dem sogenannten Judenbrunnen vernommen zu haben. Die Stadtkammerknechte bemerkten außerdem am folgenden Morgen frische Fußspuren in dem nassen Schnee, die von dein Hause Ursels nach den: Jndenbrunnen auf dein „Plätzchen" führten, und da unterdessen Kälte cintrat, einfroren und so noch einige Tage lang konstatirt werden konnten. Diese Fußspuren aber waren schon darum bedenklich, weil der Brunnen seit unvordenklichen Zeiten nur mehr in Ansnahmsfällen, wie bei Fcuersbrünsten und dergleichen, benützt wurde.
Bei so gravirenden Nebenumständen hielt der Rath eine Augenscheinnahme für angezeigt. Eine Gerichtskommifsion begab sich mit Stricken und Laternen bewaffnet an Ort und Stelle, und unter ziemlichem Zulauf der Bevölkerung machte man sich an das traurige Werk.
Der Jndenbrunnen lag abseits von der breiteren Straße auf einem kleinen viereckigen Platze, den von drei Seiten hohe Gartenmauern und ein verwitterter Stadel einschlossen. Es war ein ziemlich großer offener Ziehbrunnen im Stil der alten Zeit, der mit seinen korinthischen Steinsäulen, ohne die niedere Mauer an seinem Rande und das spitzige Dach mit der Windfahne beinahe wie ein griechischer Göttertempel ausgesehen hätte. Sein zerfallenes ruinenartiges Aeußere paßte trefflich zu den grauslichen Geschichten von Juden, die ihn zur Zeit einer Pest vergiftet haben sollten und zur Strafe dafür in seine unergründlichen Tiefen gestürzt worden waren. Eine Znthat von lokalpatriotischer Färbung mochte es außerdem noch fein, daß der Brunnen zu denen gehörte, auf deren Grunde man wegen ihrer Tiefe die Sterne am Tage sehen könne.
Bekanntlich war der Selbstmord in den Anschauungen und nach den Gesetzen des Jahrhunderts, in welchem unsere Geschichte spielt, ein Frevel, der auch nach dem Tode gerächt werden mußte. Der entseelte Leichnam dessen, der selbst Hand an sich gelegt hatte, wurde zum Schmerz und zur Schmach der Seinen vom Henker mit Stricken unter der Thürschwelle hinweggezogen oder durch das Fenster herabgelassen und alsdann „unter dem Galgen" wie ein Hund begraben.
Aber soweit war die Sache noch nicht gediehen. Man wollte heute nur den Augenschein, visaur st rsspset-nin nehmen, und die gefürchtete Gestalt des Freimanns fehlte darum auch unter dem Komitat der Gerichtspersonen. Es wurde für genügend erachtet, eine Laterne in den Brunnen hinabzulassen, und bei ihrem Scheine zeigte sich denn auch bald auf dem Grunde desselben eine Masse, die mit einem menschlichen Körper sehr viel Aehnlichkeit hatte. Einige wollten den Zipfel von Sixt Dornbuschs grauem Mantel deutlich erkennen, andere feine Statur, mehrere sogar sein Gesicht, und als der Büttel aus speziellem Eifer mittelst einer Hacke ein Barett emporfischte, das allgemein als das Sixts erkannt wurde, schwand vollends jeder Zweifel.
Ein sehr langes und sehr ausführliches Protokoll wurde