Heft 
(1878) 28
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Die Eskimos in Deutschland.

Die Zeitungsleser, (und wer ist das jetzt nicht?) werden schon seit Be­ginn des jetzt vergangenen Winters in vielen deutschen sowol wie Pariser Zeitungen ab und zu Mittheilungen über die seit dieser Zeit in Deutschland und Paris gezeigten Eskimos gefunden haben, ja selbst der Kladderatdatsch hat sie, und zwar in wohlwollender Weise in die ihm übliche launige Be­handlung genommen; Alles dies ist schon Beweis genug, daß das Publikum es hier keineswegs mit dem seit langen Jahren bis zum Widerwärtigen überhand genommenen Wildenschwindel zu thun hatte, sondern hier eine ge­diegene Schaustellung vorliegt. In der That bildet diese gegenwärtig im Dresdener Zoolog. Garten gezeigte Eskimosgruppe ein ganz bedeutsanies Glied in der Kette der ethnographischen oder völkerkundlichen Unternehmun­gen, welche der Hamburger Thierhändler C. Hagenbeck ins Werk setzt, und ich erfülle daher sehr gern den Wunsch der Redaktion, zu dem lebendigen Bilde einige erläuternde Worte zu schreiben, da ich vielleicht auch hierdurch dazu beitragen kann, daß diese in ihrer Art offenbar bahnbrechenden Schau­stellungen immer mehr die verdiente Geltung erhalten.

Zwei große Mängel, wovon der eine aus dem andern hervorging, haben bisher stets diese Vorführungen von Angehörigen fremder Menschen­stämme gehabt, selbst wo dieselben ächt waren: der erste war, daß man stets nur die Menschen, also ohne die ihnen eigenthümliche Umgebung, an Woh­nungen, Geräthen, Waffen, Hausthiere u. s. w. in ihrer Zusammenge­hörigkeit zeigte, woraus der zweite Mangel hervorging, daß es deswegen unmöglich war, diese Leute in den ihnen eigenthümliche» Beschäftigungen, in der Anwendung ihrer Geräthe, Hausthiere u. s. w. zu sehen. Einen Anklang an diese Zusammengehörigkeit findet man in einer seit einer Reihe von Jahren herumgeführten Lappländergruppe, die aber durch die Kleidung und Waffen u. s. w. als Eskimos gefälscht sind, und daher das Publikum in höchst tadelnswerther Weise erst recht irre führen. Den ersten Anfang einer derartigen vollständigen und wahrheitsgetreuen Vorführung machte Herr Hagenbeck vor 8 Jahren mit seinen Lappländern, die er mit Zelten, Schlit­ten, Geräthen, Hunden und einer ganzen Rennthierherde in Deutschland zeigte. Ihnen folgten die Nubier, welche er wiederholt nach Europa brachte und als drittes und gelungenstes Glied dieser Folge sind es jetzt die Eski­mos, dem wir nun näher treten wollen.

Es sind drei erwachsene Männer und die Frau des Einen nebst ihren zwei kleinen Kindern, beide Mädchen, wovon das Eine noch Säugling ist. Sie wohnen in ihrer charakteristischen Winterwohnung, die ihnen überall, wo sie gezeigt werden, extra gebaut wird. Außerdem sind noch zwei mit zusam- mengenühten Seehundfellen bedeckte Sommerzelte aufgestellt. Mit sich haben sie gebracht, acht Schlittenhunde, von denen zwei mitten im Winter Junge geworfen haben, außerdem zwei Schlitten, zwei Kajaks (Jagdboote) ein Umiak (Frauenboot), ihre Jagdwaffen, und außerdem eine prachtvolle Sammlung ethnographischer Gegenstände, unter denen eine Anzahl von zierlichen Mo­dellen, von Eskimos gearbeitet, noch besonders interessant ist.

Es ist keineswegs leicht gewesen, diese Expedition, denn so kann man das Unternehmen wol nennen, durchzusühren, denn ganz abge­sehen von der bedeutenden Geldsumme, die hier an ein in Bezug auf sein Gelingen noch sehr zweifelhaftes Projekt gewagt wurde, traten ganz uner­wartete Schwierigkeiten hervor. Die dänische Regierung, welche bekanntlich im Besitz Grönlands ist, gab ihre Erlaubniß zu der Sache erst, nachdem Herr Hagenbeck sich verpflichtet hatte, die betreffenden Eskimos nach Ablauf des Winters mit dem zu bestimmter Zeit nach Grönland fahrenden Regie­rungsschiff wieder zurückzusenden, und er mußte als Bürgschaft dafür eine namhafte Summe in Kopenhagen niederlegen. Diese gewünschte Bürgschaft ist übrigens ein Beweis, daß die dänische Regierung ihre Pflegebefohlenen nicht schutzlos lassen wollte, sondern denselben auch so ihre Sorge und ihr Wohlwollen widmet. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten begannen erst in Grönland selbst. In allen südlichen Kolonien war keiner der dortigen Es­kimos zum Mitgehen zu bewegen, obgleich dieselben bekanntlich durch den Umgang mit den Dänen keine eigentlichen Wilden.

Der zum Anwerben der Gruppe von Herrn Hagenbeck nach Grönland gesandte Agent ließ sich aber dadurch nicht entmuthigen, er ging an der West­küste Grönlands, die am dichtesten bewohnt ist, von Kolonie zu Kolonie immer nördlicher, und fand endlich in Jacobshaven, einer der nördlichsten Kolonien, die zur Reise willigen Leute. Aber hier entstanden andere Schwie­rigkeiten, denn die beiden dänischen Pfarrer, welche in dieser großen Nieder­lassung wohnen, und von denen der eine nach Norden, der andere nach Süden seinen Wirkungskreis ausdehnt, traten dem Unternehmen entgegen, indem sie sich laut dagegen aussprachen, diese einfachen Leute ihrer Heimath und ihrer glücklichen Lebensweise zu entführen und gleich wilden Thieren den Europäern zu zeigen. Bei dem großen Einfluß der Geistlichen schien das Ganze nun noch daran scheitern zu sollen. Aber der Agent suchte jetzt selbst die Geistlichen für die Sache zu stimmen, er stellte ihnen, besonders dem einen Hauptwidersacher vor, daß es sich hauptsächlich darum handle, die Europäer durch den Augenschein davon zu überzeugen, daß die unter der dänischen Herrschaft lebenden Eskimos keineswegs die Wilden seien, für die man sie halte, wies dabei auf die mitzunehmende ethnographische Sammlung hin, zu welcher er selbst von dem Pfarrer einige zierliche Modelle kaufte, und so gelang es endlich, auch dieses Hinderniß zu besiegen. Nachdem die ganze Sammlung zusammengebracht war, bestiegen Herr Eskimo Okabak mit seiner jungen hübschen Frau, deren Sprößlinge, und den beiden Freunden unter Leitung ihres Führers, des Agenten, welcher natürlich die Eskimo­sprache spricht, das abgehende Regierungsschiff und kamen im September des vorigen Jahres glücklich in Kopenhagen, an. Dort hat sie aus Erkenntlich­keit gegen die Regierung Herr Hagenbeck einige Tage unentgeldlich dem Publikum gezeigt, und sodann nach Hamburg gebracht. Dort wie hier fanden sie einen massenhaften Zulauf, und die Räume der als Hamburger Sehens­würdigkeit in diesem Blatte zuerst geschilderten Hagenbeckschen Handelsmena- aerie waren Wochenlang von Tausenden gefüllt. Üeberall machte die junge Frau in ihrer originellen Tracht, den engen Seehundshosen u. s. w. das meiste Aussehen, besonders wenn sie ihr Kleinstes in der Fellkapuze auf dem Rücken mit sich trug. Aber auch das Schlittenfahren mit den in einer Reihe nebeneinandergespannten Hunden (leider diesen ganzen Winter fast nur auf dem Erdboden möglich), das Fahren im Kcstak mit dem bekannten Umdrehen im Wasser, und das Werfen mit den originellen Harpunen waren ganz un­gewohnte und überraschende Schauspiele. Von Hamburg aus wurden daher

die Eskimos von dem berühmten Direktor des Pariser gnräin ä'aooiimatä- tion, St. Geoffroy St. Hilaire direkt nach Paris geholt, wo sie ungefähr zwei Monate lang das Tagesgespräch der Pariser waren, und manchmal an einem Tage gegen 100 Franken an direkten Geschenken erhielten. Dieses Auftretenlassen solcher ethnographischen Gruppen im dortigen Zoologischen Garten, wie es der Direktor Geoffroy schon mit den Nubiern unter kollossa- lem Zulauf der Pariser begann, ist entscheidend in den Geltendmachen solcher Volksgruppen geworden, denn auch die deutschen Zoologischen Gärten haben sich nun entschlossen, ihr Programm nach dieser Seite auszudehnen um sich neue Einnahmen dadurch zu schaffen. Wie so oft im Leben, wirkt auch hier die Gegenseitigkeit, denn dadurch, daß eine solche Schaustellung in einem solchen Institut gezeigt wird, gewinnt sie ein durchschlagendes Vertrauen bei dem größten Theil des Publikums und wird in viel höherem Grade ausge­sucht. So sind auch unsere Eskimos mit großem Erfolg nach Paris in den Zoologischen Gärten von Brüssel, Köln, Berlin gezeigt worden, sind jetzt im Zoologischen Garten zu Dresden und werden laut Uebereinkunft vor ihrem Abgang nach Kopenhagen noch einige Zeit im Hamburger Zoologischen Gar­ten gezeigt werden. Wie sehr unsre Vorstellungen von diesen unter der Dänischen Herrschaft lebenden Eskimos zu berichtigen sind, mögen die des Raumes wegen nur noch kurzen Hindeutungen beweisen, daß diese mit ihrer formlosen Fellkleidung so wild aussehenden Leute alle Christen sind, daß sie in aller Form von dänischen Pfarrern getauft, konsirmirt, getraut und begraben werden, daß sie von eingebornen Lehrern, welche man in einem grönländischen Seminar dazu vorbereitet, unterrichtet werden, und zwar im Lesen, Schreiben, Rechnen, etwas Geographie, Geschichte und Naturgeschichte, daß sie sogar im Verkehr mit der Regierung (dieselbe hat das Monopol des Handels) Papiergeld, welches eigens für sie angefertigt wird, gebrauchen, und daß z. B. der schon erwähnte Herr Okabak eine gar nicht üble Hand­schrift hat und mehr kann man doch kaum verlangen.

H. Leutemann.

Umschau in femen Landen.

Aus einem Lande, das erst seit 1871 den Russen gehört und wenig be­kannt ist, berichtet soeben der Ungar Ujfalvy, welcher im Aufträge der französischen Regierung Central-Asien besuchte und nun nach Paris zurück­gekehrt ist. Wir meinen den Distrikt Kuldscha, der ehemals die chinesische Provinz Jli bildete und, so recht im Herzen Asiens gelegen, das breite Thal des Jlislusses nebst seinen Seitengewässern umfaßt. Leichter werden die Leser orientirt sein, wenn wir noch hinzufügen, daß der Jli in den großen Binnen­see Balchasch mündet. Der Distrikt ist mit einer ziemlich starken Truppen­macht besetzt, da ringsum das Land sich im gräulichsten Zustande befindet und ein allgemeines Rauben und Morden, ein Krieg aller gegen alle statt- sindet. Die Chinesen, welche früher hier vertrieben wurden, sind jetzt wieder im Vorrücken begriffen und vor kurzem erst haben sie das seit Jahren von ihnen getrennte Reich Kaschgar oder Ostturkestan wieder erobert. Solche centralasiatische Kriege hinterlassen die furchtbarsten Spuren; sie bedeuten allemal Ausrottung der Menschen und totale Verwüstung.

Ujfalvy entwirft uns vom Jlithale, das auch unter den Kriegen und Aufständen zu leiden hatte eine geradezu entsetzlich anmuthende Schilderung. Der Reisende durchzieht Dutzende vollständig zerstörter und verödeter Ort­schaften; die fruchtbaren Felder sind unbestellt und mit Unkraut bedeckt; die Bewässerungskanäle trocken. Früher zählte das Land 2 Millionen Ein­wohner, jetzt aber nur noch höchstens 130,000. Blühende Städte wie Neu- Kuldscha oder Jli mit 300,000 Einw., Badschandadsch mit 100,000 und Tschimpansi mit 50,000 sind so vollständig verschwunden und ausgemordet, daß nur noch ein paar Trümmerhaufen davon übrig blieben. Die zahlreichen gewerblichen Stätten sind verbrannt worden und die fleißige Bevölkerung Männer, Weiber und Kinder ausgemordet. Nur junge Weiber und Mädchen sparte man als Beute für die Sieger auf. Der fruchtbarste Theil von Kuldscha wird von Tarantschis und Dunganen bewohnt, die sich in den den Chinesen abgenommenen Wohnungen niedergelassen und einen erträglichen Handel mit all den Dingen treiben, die sie den Besiegten gestohlen haben. Die Dunganen sind chinesische Mohammedaner, welche durch Mischung mit Kirgisen und Tarantschis sich zu einem eigenen Typus herausaebildet. Zu diesen Völkern kommen noch Kirgisen, Sibo, Solonen, die Nachkommen alter chinesischer Militärkolonisten, Chinesen, Russen, Tataren, Hindus, Afghanen und die nirgends fehlenden Juden eine bunte, sich mischende oder ab­stoßende Bevölkerung, die in offenen Kampf unter einander ausbrechen würde, wenn nicht zum Segen und Vortheil des Ganzen Rußland seine starke Faust auf das schöne fruchtbare Land gelegt hätte und mit seinen Kosaken hier eine seiner schönsten Kulturaufgaben erfüllte.

-je *

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Aus Kairo schreibt man uns: Soeben wurde hier dasFest des Propheten", Mulid-en-Nebi, begangen, das sieben Tage dauert und mit dem barbarischen Gebrauche desDoseh" endigt, von dem ich diesmal mich mit eigenen Augen überzeugen konnte, nachdem ich die ganze Sache früher für ein Märchen gehalten hatte. Der große Scheich der Saadieh-Derwische u. das Oberhaupt aller Derwischsekten besteigt bei dieser Gelegenheit seinen Schimmel und reitet über die Körper der Gläubigen hin, die sich vor ihm niederwerfen und Gebete für ihr zukünftiges Wohlergehen murmeln. Dies­mal waren es etwa 400 Muselmänner, die zu Ehren Allahs und des Pro­pheten sich dieser Procedur unterwarfen; sie lagen mit dem Gesichte nach der Erde zu und wurden von einigen gewandten Paschas zu einem leben­digen Pflaster kunstvoll arrangirt, worauf das Pferd mit dem Scheich Achmed el Kudari über sie hinweg geführt wurde. Von allen Seiten war eine große Menschenmenge zusammengeströmt um dem Schauspiel beizuwohnen, auch die Prinzen und Minister waren erschienen. Der Schimmel war ein dickes handfestes Thier, gewiß 16 Faust hoch und mit breiten einheimischen Huf­eisen beschlagen, mit denen es über die etwa 200 Ellen lange Brücke aus Menschenfleisch hinschritt, wobei mancher kräftige Tritte erhielt, die meisten aber ungetreten davon kamen.

In Shepheards Hotel, wo ich logire, ist ein arabischer Diener, welcher bereits dreimal ungestraft und ungetreten das Doseh mitmachte. Diesmal kam Mustapha ganz vergnügt lächelnd zurück und rief aus:Wieder nicht getreten".