266
Ueöer Land und Meer.
M 17
Man muß aber hoffen; bei Gott kein Ding unmöglich ist. Und zu Moscheles Hab' ich Vertrauen; ihn auskultieren zu sehn, ist ein wahres Vergnügen für 'neu Fachmann."
So klang, was Spanholz noch in letzter Minute vom Coupsfenster aus zum besten gab. Alles, am meisten aber das über den alten Stechlin Gesagte, wurde weitergetragen und drang bis auf die Dörfer hinaus, so namentlich auch bis nach Quaden-Henners- dorf zu Superintendent Koseleger, der seit kurzem mit Ermyntrud einen lebhaften Verkehr unterhielt und, angeregt durch die mit jedem Tage kirchlicher werdende Prinzessin, einen energischen Vorstoß gegen die ringsumher immer mehr überhandnehmende Laxheit plante. Koseleger wie die Prinzessin wollten zu diesem Zwecke bei dem alten Dubslav als zunächst zu Bekehrendem einsetzen, und hielten sein Asthma für den geeignetsten Zeitpunkt. In einem Brief der Prinzessin an Koseleger hieß es dementsprechend: „ Ich will die gute Gesinnung des alten Herrn in nichts anzweifeln; außerdem hat er etwas ungemein Affables. Ich bin ihm menschlich durchaus zugethan. Aber sein Prinzip, das nichts Höheres kennt, als ,leben und leben lassen', hat in unsrer Gegend alle möglichen Jrr- tümer und Sonderbarkeiten ins Kraut schießen lassen. Nehmen Sie beispielsweise diesen Krippenstapel. Und nun den Lorenzen selbst! Katzler, mit dem ich gestern über unsern Plan sprach, hat mich gebeten, mit Rücksicht auf die Krankheit des alten Herrn wenigstens vorläufig von allem Abstand zu nehmen, aber ich Hab' ihm widersprechen müssen. Krankheit (so viel ist richtig) macht schroff und eigensinnig, aber in bedrängten Momenten auch ebenso sehr gefügig, und es sind wohl auch hier wieder Auferlegungen und Bitternisse, daraus ein Segen für den Kranken, und jedenfalls für die Gesamtheit entspringen wird. Unter allen Umständen aber muß uns das Bewußtsein trösten, unsre Pflicht erfüllt zu haben."
Es war eine Woche nach Sponholz' Abreise, daß Ermyntrud diese Zeilen schrieb, und schon am andern Vormittage fuhr Koseleger, der mit der Prinzessin im wesentlichen derselben Meinung war, auf die Stechliner Rampe. Gleich danach trat Engelke bei Dubslav ein und meldete den Herrn Superintendenten.
„Koseleger?"
„Ja, gnäd'ger Herr. Superintendent Koseleger. Er sieht sehr wohl aus, ganz blank."
„Was es doch für merkwürdige Tage giebt. Heute, du sollst sehn, ist wieder so einer. Mit Moscheles fing er an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe bitten."
„Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin."
„Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war der neue Doktor hier. Und eine Viertelstunde, wenn's mit dem „xi-asseiUs nisäieo" nur ein ganz klein bißchen was auf sich hat, muß solche Doktorgegenwart doch noch nachwirken."
„Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr gescheit sein. Die Wiener und Prager verstehn es; namentlich alles, was nach der Seite hin liegt."
„Ja," sagte Dubslav, „nach der Seite hin," und wies auf Brust und Herz. „Aber, offen gestanden, nach mancher andern Seite hin ist mir dieser Moscheles nicht ganz sympathisch. Er faßt seinen Stock so sonderbar an und schlenkert auch so..."
„Ja, so was muß man unter Umständen mit in den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philosemitischen Zug."
„Den hat der Major von Stechlin auch, weil er Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipienreitereien erst recht nicht. Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehn. Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beispiel der hier mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch Hirschfeld, den der Herr Superintendent ja wohl kennen werden, auch der gefällt mir nicht mehr so recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber — vielleicht daß sein Sohn Isidor schuld ist — mit einem Male ist der Pferdefuß 'rausgekommen."
„Ja," lachte Koseleger, „der kommt immer mal 'raus. Und nicht bloß bei Baruch. Ich muß aber
sagen, das alles hat mit der Raffe viel weniger zu schaffen, als mit dem jeweiligen Beruf. Da war ich eben bei der Frau von Gundermann..."
„Und da war auch so was?"
„Ja. Natürlich etwas Weibliches, ,Stütze der Hausfrau'. Und da bändelt sich denn leicht was an. Eben diese ,Stütze der Hausfrau' war bis vor kurzem Gouvernante gewesen, und mit Gouvernanten, alten und jungen, hat's immer einen Haken, wie mit den Lehrern überhaupt. Es liegt im Beruf, wobei männlich oder weiblich keinen Unterschied macht. Und der Seminarist steht obenan."
„Ich kann mich nicht erinnern," sagte Dubslav, „in unsrer Gegend irgend was Gröbliches derart erlebt zu haben."
„O, ich bin mißverstanden," beschwichtigte Koseleger und rieb sich mit einem gewissen Behagen seine wohlgepflegten Hände. „Nichts von Vergehungen auf erotischem Gebiet, wiewohl es bei den Gundermanns, die gerad' auf diesem Punkte viel heimgesucht werden, auch diesmal wieder diese Form angenommen hatte. Nein, der große Seminaristenpferdefuß, an den ich dachte, trägt ganz andre Signaturen: Unbotmäßigkeit, Ueberschätzung und infolge davon ein eigentümliches Bestreben, sich von den Heilsgütern loszulösen, und die Befriedigung des innern Menschen in einer falschen Wissenschaftlichkeit zu suchen."
„Ich will das nicht loben; aber solche Falsche Wissenschaftlichkeit- zählt, dächt' ich, in unsrer alten Grafschaft zu den allerseltensten Ausnahmen."
„Nicht so sehr als Sie vermuten, Herr Major, und aus Ihrer eignen Stechliner Schule sind mir Klagen kirchlich gerichteter Eltern über solche Dinge zugegangen. Allerdings Altlutheraner aus der Glob- sower Gegend. Aber so lästig diese Leute zu Zeiten sind, so haben sie doch andrerseits den ganzen Ernst des Glaubens und finden, wie sie sich in einem Skriptum an mich auch ausgedrückt haben, in der Kripp en- stapelschen Lehrmethode diesen Ernst des Glaubens arg vernachlässigt."
Dubslav wiegte den Kopf hin und her, und hätte trotz allen Respekts vor dem Vertreter einer kirchlichen Behörde wahrscheinlich ziemlich scharf und spitz geantwortet, wenn ihm alles, was er da hörte, nicht auch gleichzeitig in einem heiteren Licht erschienen wäre. Krippenstapel, sein Krippenstapel, der den alten Fritzen so gut wie den Katechismus, aber den Katechismus auch reichlich eben so gut wie den alten Fritzen kannte, — Krippenstapel, sein großartiger Bienenvater, sein korrespondierendes Mitglied märkisch-historischer Vereine, die Seele seines „Museums", sein guter Freund, dieser Krippenstapel sollte den „Ernst des Glaubens" verkannt haben, bei ihm sollte der Seminaristenhochmut zu gemeingefährlichem Ausbruch gekommen sein. Unsinn. Wohl entsann er sich, was ihn in diesem Augenblicke verstimmte, gelegentlich ganz ähnliches gesagt zu haben. Aber doch immer nur scherzhaft. Und wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht mehr dasselbe. Traf dieser Satz je zu, so hier. Er erhob sich also mit einiger Anstrengung von seinem Platz, ging auf Koseleger zu, schüttelte ihm die Hand und sagte: „Herr Superintendent, so wie Sie's da sagen, so kann es nicht sein. Von richtigen Altlutheranern giebt es hier überhaupt nichts, und am wenigsten in Globsow; die glauben sozusagen gar nichts. Ich wittere da was von Jntrigue. Da stecken andre dahinter. Bei meinem alten Baruch ist der Pferdefuß 'rausgekommen, aber bei meinem alten Krippenstapel ist er nicht 'rausgekommen und wird auch nicht 'rauskommen, weil er überhaupt nicht da ist. Meinen alten Krippenstapel, den kenn' ich."
Koseleger, Weltmann, der er war, lenkte rasch ein, sprach von Konventiklerbeschränktheit und gab die Möglichkeit einer Jntrigue zu.
„Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erdenwinkel an derlei Dinge zu glauben, denn ,Jntrigue'- zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. Jntrigue hat hier in unsrer alten Grafschaft, glaub' ich, noch keinen Boden. Aber andrerseits ist es freilich wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja selbst Verbrechen und Laster, nicht bloß mehr im Gefolge der Kultur auftreten, sondern umgekehrt ihr voranschreiten, als beklagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken Sie, was wir neuerdings in unsern Provinzen erlebt haben.
Allerdings am Aequator. Die Zivilisation ist noch nicht da und schon haben wir ihre Greuel. Man erschaudert, wenn man davon liest, und freut sich der kleinen Verhältnisse, drin der Wille Gottes uns stellte."
Nach diesen Worten, die was von einem guten Abgang hatten, erhob sich Koseleger, und der Alte, seinerseits seinen Arm in den des Superintendenten einhakend, „um sich", wie er sagte, „auf die Kirche zu stützen", begleitete feinen Besuch bis wieder auf die Rampe hinaus und grüßte noch mit der Hand, als der Wagen schon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann wandte er sich rasch an Engelke, der neben ihm stand, und sagte: „Engelke, schade, daß ich mit dir nicht wetten kann. Lust hätt' ich. Heute kommt noch wer, du wirst sehn. Eine Woche lang läßt sich keine Katze sehn, aber wenn unser Schicksal erst mal zu 'nem Entschluß gekommen ist, dann kann es sich auch wieder nicht genug thun. Man gewinnt dreimal das große Los oder man stößt sich dreimal den Kopp. Und immer an derselben Stelle."
Es schlug zwölf, als Dubslav vom Portal her wieder den Flur passierte. Dabei sah er nach dem Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. „Zwölf. Und um zwölf ist alles aus und dann fängt der neue Tag an. Es giebt freilich zwei Zwölfen, und die Zwölf, die da oben jetzt schlägt, das is die Mittagszwölf. Aber Mittag! ... Wo bist du Sonne geblieben!" All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter that, kam er an seinen Kaminplatz und nahm eine Zeitung in die Hand. Aber er sah kaum drauf hin und beschäftigte sich, während er zu lesen schien, eigentlich nur mit der Frage, „wer wohl heute noch kommen könne", und dann abwechselnd an Koseleger und Krippenstapel und zuletzt auch an Lorenzen denkend, kam er zu dem Endresultat, daß ihm Lorenzen „mit all seinem neuen Unsinn" doch lieber sei als Koseleger mit seinen Heilsgütern, von denen er wohl zwei- dreimal gesprochen hatte. „Ja, die Heilsgüter, die sind ganz gut. Versteht sich. Ich werde mich nicht so versündigen. Die Kirche kann was, is was, und der alte Luther, nu der war auch was, weil er ehrlich war und für seine Sache sterben wollte. Nah' dran war er. Eigentlich kommt's immer bloß darauf an, daß einer sagt,
,dafür sterb' ich'. Und es dann aber auch thut. Für was es is, is beinah' gleich. Daß man überhaupt so was kann, wie sich opfern, das ist das Große. Kirchlich mag es ja falsch sein, was ich da sage; aber was sie jetzt,sittlich' nennen (und manche sagen auch Fchönheitlich', aber das is ein zu dolles Wort), also was sie jetzt sittlich nennen, so bloß auf das hin angesehn, da is sich einsetzen und für was sterben das Höchste. Mehr kann der Mensch nich. Aber Koseleger. Der will leben."
Und während er noch so vor sich hin seinen Faden spann, war sein gutes altes Faktotum eingetreten, an das er denn auch ohne weiteres und bloß zu eignem Ergötzen die Frage richtete: „Nich wahr, Engelke?"
Der aber hörte gar nichts mehr, so sehr war er in Verwirrung, und stotterte nur aus sich heraus: „Ach Gott, gnäd'ger Herr, nu is es doch so gekommen."
„Wie? Was?"
„Die Frau Gemahlin von unsern Herrn Oberförster ..."
„Was? Die Prinzessin?"
„Ja, die Frau Katzler, Durchlaucht."
„Alle Wetter, Engelke... Da haben wir's. Aber ich habe es gesagt, ich wußt' es. Wie so 'n Tag anfängt, so bleibt er, so geht es weiter. . . Und wie das hier durcheinander liegt, alles wie Kraut und Rüben. Nimm die Zudecke weg, ach was Zudecke, die reine Pferdedecke; wir müssen eine andre haben. Und nimm auch die grünen Tropfen weg, daß es nicht gleich aussieht wie 'ne Krankenstube . . . Die Prinzessin . . . Aber rasch, Engelke, flink ... Ich lasse bitten, ich lasse die Frau Oberförsterin bitten."
Dubslav rückte sich, so gut es ging, zurecht; im übrigen aber hielt er's in seinem desolaten Zustande doch für besser, in seinem Rollstuhl zu bleiben, als die Prinzessin durch ein Sicherheben und ihr Entgegengehen mehr oder weniger feierlich zu begrüßen. Ermyntrud paßte sich seinen Intentionen auch an und gab durch eine huldvolle Handbewegung zu