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schwenglichsten Worten und mit Beteuerungen ewiger Liebe verbrämt; aber daß sie im Verlauf des Schreibens den mir so teuren Schlüssel ein „unseliges Werkzeug" nannte, daß sie dieses „reumütig" von sich geben wollte und andere derartige Ausdrücke erschienen nur lieblos und thaten meinem Herzen weh. Ich wickelte den Schlüssel in ein festes Papier. Was ich aber in meinem Unmut dazu schrieb, gefiel mir so wenig, daß ich das vertraute Eisen lieber ohne alle Begleitworte weggab und zum Zeichen, daß es das richtige sei und von mir komme, den Umschlag lediglich mit dem Wappen auf meinem Degenknopf versiegelte.
Das Mißlingen meines gestrigen Versuchs und die Forderung Seraphinens verstimmten mich sehr. Ich ward trotzig und beschloß, mir vor der Welt, die mich beobachtete, meine Sehnsucht nach der Entrückten nicht anmerken zu lassen. Je näher der Herbst dem Winter rückte, desto rühriger ward die Gesellschaft. Schon tanzte man in diesem und jenem Haus nach dem Thee, und größere Bälle wurden bereits in Aussicht genommen.
Ich ging zunächst mehr auf Jagd als in Salons, dachte aber durchaus nicht daran, mich im kommenden Winter von aller feineren Geselligkeit zurückzuziehen; im Gegenteil, ich wollte den Eltern Seraphinens keineswegs das Bild eines abgehärmten Schwärmers und unglücklichen Liebhabers darstellen. Auch Seraphinen nicht, die, so bewacht sie sein mochte, Gelegenheit finden mußte, mir hie und da einige herzstärkende Zeilen zukommen zu lassen.
Auf einmal kriegt' ich doch einen Brief von ihr, und dieser war voll Beteuerungen ihrer Zuneigung und Ausdauer. Er enthielt aber auch eine Bitte, und diese recht wunderliche, recht übel begründete Bitte erregte den Verdacht in mir, daß ohne sie mir auch jene Beteuerungen niemals zugegangen wären, so aufrichtig sie immerhin gemeint sein mochten.
Die Bitte ging dahin, einer Einladung zu Parkers nicht Folge zu leisten.
Parkers waren nämlich zu allgemeinem Leidwesen auf den Entschluß verfallen, unsere Stadt, in der sie ein paar Jührlein aufs angenehmste zugebracht hatten, zu verlassen und sich des weiteren in Deutschland und Europa umzusehen, ehe sie wieder auf ihre angestammte Insel heimkehrten. Unsere Gesellschaft bedauerte das lebhaft, besonders alle jungen Herren; denn es gab wenig so behagliche Häuser in unserem Städtchen und noch weniger, in denen es so opulent herging, wie bei diesen, nach unserem einheimischen Maßstabe gemessen, sehr wohlhabenden und breitlebigen Engländern.
Da sie noch vor dem Beginn der Hochsaison sich in Berlin niederznlassen beabsichtigten, rüsteten sie schon jetzt ein großes Abschiedsfest und luden dazu Wochen vorher all ihre Freunde und Bekannten in der Residenz.
Auch wir jungen Herren planten ein Abschiedsfest für die genannte Familie zum Dank für viele in dem gastlichen Hause verlebten angenehmen Stunden.
Ohne irgendwie des näheren mit Parkers liiert zu sein, freut' ich mich doch auf beide Feste, bei denen zu erscheinen mich Ehrenpflicht eines wohlerzogenen jungen Mannes dünkte, und war darum nichts weniger als angenehm betroffen, als Seraphine von mir verlangte, ich sollte nicht zu Parkers Ball gehen, wenn ich sie lieb hätte.
Nicht etwa aus dem noch allenfalls plausiblen Grunde, weil sie hinginge und ich ein Begegnen mit ihr und ihren Eltern besser vermiede, — im Gegenteil, weil sie, die sich bereits des öfteren und endgültigen mit der englischen Familie entzweit hatte, nicht hinging und es ihr ein unerträglicher Gedanke war, mich ohne ihre schützende Gegenwart, wie sie sich ausdrückte, in die Fallstricke jener hinterlistigen Engländerin taumeln zu wissen. Es hieße ohnehin schon in der ganzen Stadt, daß ich mich um die Miß mit Erfolg bewürbe.
Nun war das nichts weiter als eine Grille ihrer einbil- derischen Eifersucht. Ich war überzeugt, daß kein Mensch auf Meilen in der Runde derartigen Verdacht hegte und lediglich Seraphinens quälende Phantasie diese haltlose Ausgeburt ausgeheckt hatte.
Überdies mußt' ich aus ziemlich verläßlicher Quelle, daß Miß Parker und mein Regierungsreferendar groß Gefallen aneinander gefunden hatten, und die Eingeweihten erwarteten bestimmt an einem der beiden eben in Vorbereitung begriffenen Feste die Veröffentlichung der Verlobung.
Da ich mich zu diesen Eingeweihten zählen durfte, war es mir schon ans diesem Grunde unmöglich, von dem nächsten Hausball wegzubleiben; denn man hätte mir's nicht anders wie als nachträglich übel angebrachte Gehässigkeit gegen meinen alten Duellanten auslegen müssen, und zu solcher Auslegung durfte nud wollte ich keine Veranlassung geben, da sie mir nicht nur geschmacklos, sondern auch unritterlich erschienen wäre. Der Referendar benahm sich nach wie vor tadellos gegen mich und seit dem Anstrag unseres Skandals zuvorkommend liebenswürdig, während ich mich ihm gegenüber trotz des Denkzettels, den ich von ihm erhalten, als der provozierende Teil gewissermaßen auch als der schuldige Teil betrachtete und keine Ursache hatte, eine Abneigung, die ich nicht mehr fühlte, bei feierlicher Gelegenheit demonstrativ zu bethätigen.
Eine Möglichkeit, Seraphinens Brief zu beantworten, war mir nicht ersichtlich. Die sonst so zwingende Phrase, „wenn Du mich lieb hast," hatte ihre Gewalt auf meinen Willen abgenutzt. So schob ich denn mit einem kleinen Seufzer diesen wunderlichen Liebesbrief in die Tasche, ohne daß Liebchens Laune diesmal meinen Entschluß geändert Hütte. Ich konnte vom Fest nicht wegbleiben und wollt' es auch nicht.
Ich gestehe meine Schwäche, daß im Verlauf der Tage und als noch einmal ein flehendes Billet an mich gelangte, wenn ich noch einen Funken Liebe für Seraphinen fühlte, ihr den Schmerz nicht anzuthun, das Fest ihrer Feindin zu verherrlichen, ich gestehe, daß ich doch nachdenklich wurde und die alte Schwäche mich anwandelte, ihrem Drängen nachzugeben und ihr meine Liebe nach wie vor dadurch zu beweisen, daß ich ihrem Wunsche den meinigen zum Opfer brachte und mich selbst wider bessere Einsicht aus reiner Neigung ihrer Laune fügte.
Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich nicht am Tage des Balles selbst ein anonymes Schreiben von verstellter Hand folgenden Inhalts zugestellt bekommen Hütte:
„Der Herr Lieutenant so und so werden hiermit aufs dringendste vor dem Besuch des heutigen Festes im Hause Parker gewarnt. Wenn ihm sein und einer anderen Person Leben lieb ist. wenn er ein großes Unglück großmütig vermieden haben will, so verzichtet er auf ein Vergnügen, an dem er