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Deutschland.
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ten Europas außer Rußland die Möglichkeit giebt, auf Grund eines solchen Falles das Eheband thatsüchlich und rechtlich trennt, so wäre es doch höchst sonderbar, daß er der Ehre eines Weibes wegen, deren Lebensweg für alle Zukunft von dem seinigen getrennt werden wird, sich noch in solche Umstünde und Gefahren begeben soll. Denn das Duell hat hier doch nur insofern Verbindung mit dem Ehrbegriff, daß der Gatte die vernichtete Ehre seiner Gattin an dem Verführer rächen soll. Ist aber die Entdeckung solcher Umstünde zugleich der Scheidepunkt der bisher verbundenen Geschicke, so kann mich doch die Ehre einer mir von diesem Augenblick an fremd werdenden Person nichts mehr angehen. Die eigene Ehre aber kann doch überhaupt nicht durch Handlungen anderer, selbst Nahestehender, befleckt werden! Dies würde erst der Fall sein, wenn ich mich zum Mitschuldigen der ehrlosen Handlung mache. Ein Verdacht hierfür kann nun allerdings entstehen, wenn die Ehe trotz jener Entdeckung fortgesetzt werden soll, und für diese Fülle ist recht eigentlich das Duell gemacht. Für den hier zu erreichenden Zweck scheint es wie erfunden und geradezu unentbehrlich zu sein. Es wird dadurch gewissermaßen ein Strich durch die Vergangenheit gemacht, und von der Gesellschaft soll dann auf Grund des stattgehabten Duells, mag der Störer dabei getötet.werden oder nicht, die Sanktion erworben werden, nunmehr wieder ein neues ganz reines Konto der ehelichen Liebe und Treue anzulegen. Aber ganz abgesehen von dem doch auch immer möglichen Falle, daß umgekehrt der Verführer den beleidigten Gatten noch dazu über deu Haufen schießt, glaube ich nicht, daß die Gesellschaft heute noch die Naivetüt und Gutmütigkeit hat wie früher, um sich mit dem deu Anstandsrücksichten gebrachten Opfer eines Duells zu begnügen und die dann fortgesetzte Ehe wieder ebenso rein und frisch anzunehmen wie früher. Der Wahrspruch der Mitschwestern der Eigentümerin der „wiederhergestellten" Ehre wird in der heutigen Gesellschaft über sie nach dem Duell vielleicht noch schärfer sein als vorher. Und er? Ich bin weit entfernt, es hier absolut als Verbrechen und Ehrlosigkeit hinstellen zu wollen, wenn der gekränkte Gatte schließlich in einem solchen Falle sich doch für die Fortsetzung der Ehe entscheiden will. Aber da dies die Verzeihung an die nach unseren Begriffen doch nun einmal Hauptschuldige voraussetzt, so ist nicht leicht zu verstehen, weshalb denn an dein Mitschuldigen zu diesem Zwecke erst blutige Rache geübt werden muß; zumal da dieses Mittel doch auch durch die dabei erfolgende Niederlage oder Tötung gerade des „Rächers seiner Ehre" dem Zwecke schnurstracks zuwiderlaufen kann. Jedenfalls hat es hier die „Gesellschaft" in der Hand und erscheint dazu verpflichtet, dieses Rächeramt dem einzelnen abzunehmen: nicht durch eine Handlung, welche an den Zufall appelliert, sondern durch die un- nachsichtliche strenge Ächtung und Ausschließung desjenigen, das heißt des männlichen Teils, der das Recht der Ehe verletzt hat. Wie es heutzutage gerade die verkehrte Anschauung und Trägheit der gesellschaftlichen öffentlichen Meinung ist, die dem beleidigten Gatten die Pistole in die Hand drückt, besonders, wenn er seinem Nebenbuhler nicht das Feld räumen, sondern es behaupten will, so müßte es gerade die Aufgabe eines neu erstarkenden Gesellschafts-Bewußtseins sein, in solchem Falle das Rächeramt selbst zu überuehmeu: uublutig, aber desto wirksamer. (Schluß folgt.)
Kompaßpftanzen.
Von
0^. Theodor Jaeiisch.
I.
ist bekannt, daß unter den Einflüssen, welche aus den Lebensverlauf und die Fvrmengestaltung der pflanzlichen Wesen einzuwirken vermögen, das Licht einer der mächtigsten und bestimmendsten ist. Ohne Licht — das lehren uns
Beobachtungen, welche Tag für Tag mit Leichtigkeit zu wiederholen sind — würde es kein Waldes- und Wieseugrün geben; nur die bleichen Gestalten des Gewüchsreiches würden die Erde bevölkern; und die Hauptmasse dazu dürften, vielleicht in ungeahnter Größenentfaltung, gleich den wülderbildenden Riesenchampignons in Jules Vernes fabelhafter Reise nach dem Erdmittelpunkte, wahrscheinlich die Pilze stellen. Die gesamte Ernährung der Pflanzenwelt, wie sie thatsüchlich vor sich geht, wäre ohne die Strahlen der Sonne unmöglich; ein Verlust ihres grünen Kleides würde für die Gewächse gleichsam nur das äußere Merkzeichen der gleichzeitig erfolgten Einbuße einer Fähigkeit sein, die sie vor der Tierwelt nuszeichnet: der, den Aufbau ihres Leibes aus Bestandteilen zu bewerkstelligen, wie sie das Reich der Leblosen darbietet. Eine Welt von Schmarotzern und Modergüsten müßte bei Lichtmangel den einzigen Schmuck der Erde bilden.
Ja, auch das liefe noch ans einen Gedankeusprung ins Bodenlose hinaus: deun die Schmarotzer fänden keine Wirte. Da kein Tier ohne lebeweltliche Nahrung bestehen kann, so muß es entweder seinesgleichen verzehren oder zur Pflanzenkost greifen. Im gegenseitigen Vernichtungskriege würde sich also Pflanzen- und Tierwelt bald erschöpfen, ohne daß eine Ergänzung aus den unbelebten Stoffen des Bodens oder des Luftkreises stattfünde: es hätte nicht einmal zu ihrer Entstehung kommen können.
Nach Maßgabe seiner uns bisher bekannten Erscheinungsformen muß ein Leben ohne Licht uns überhaupt undenkbar erscheinen.
Auch unter den Ursachen, die die verschiedenen sogenannten Reizerscheinungen in der Pflanzenwelt Hervorrufen, spielt das Licht eine hervorragende Rolle.
Man könnte schon die allbekannte Einwirkung ans das Wachstum hierher rechnen. Licht verlangsamt das Wachstum: und zwar in demselben Grade, wie es die Ernährung begünstigt. Im Dunkeln wachsende Stengel strecken sich mit viel bedeutenderer Geschwindigkeit in die Länge, als solche, die znm Lichte gelangen; in der Nacht ist das Wachstum stärker als am Tage. Es wird dauu verarbeitet, was am Tage erarbeitet ist. So wirkt der Wechsel vou Tag uud Nacht ausgleicheud auch auf das Pflanzenleben.
Mau hat hieraus lange Zeit hindurch irrige Schlüsse in Bezug auf die mancherlei Bewegnngserscheinungen an wachsenden Pflanzeuteilen gezogen. Bei einseitiger Beleuchtung krümmen sich die ineisten Pflanzenstengel an ihren wachsenden Enden dem Lichte zu; jede Zimmerpflanze giebt Aufschluß hierüber. Am auffallendstem ist die Erscheinung bei jungen, aus Samen gezogenen Keimpflünzchen. In Reih und Glied stehen sie, wo man ihrer viele beisammen hat, gleichmäßig nach dem Fenster gerichtet. Dreht man den Topf, worin sie stehen, um, so bieten sie nach Verlauf eines halben, spätestens ganzen Tages den entgegengesetzten Anblick. Waren sie schon etwas größer, so erscheinen sie nun wie geknickt an der Stelle, wo sie die Schwenkung vollzogen haben.
Im Freien ist nichts dergleichen zu beobachten. Hier wirkt das Sonnenlicht den ganzen Tag über gleichmäßig ein; es kommt von allen Seiten und kann keine dauernde Ablenkung Hervorrufen. Doch giebt es auch Ausnahmen; freilich nur scheinbare. Die allbekannte Sonnenrose (HelmntlluZ rumnnch, auch Sonnenwende (französisch toru-rmsol), ist ein solches Beispiel. Ihr großer, tellerförmiger Blütenstand folgt deutlich tagsüber dem scheinbaren Laufe der Sonne. Die Erklärung liegt aber nicht ferne: hier ist die unmittelbare Einwirkung des unzerstreuten Lichtes stark und rasch genug, um einem allmählichen Ausgleich auch für das unbewaffuete Auge zuvorzukommen; so dreht sich der blütenkorbtragende Stengel im Kreise, und die Augenfälligkeit dieser Wirkung hat dem Gewächse den Namen verliehen.
Auch die Eigentümlichkeit des Standortes kann Abweichungen von dem gewöhnlichen Verhalten im Freien wachsender Pflanzen Hervorrufen; doch soll hiervon an anderer