Ihr Geheiinniß.
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sie sich noch nicht, die zitternde Stimme hätte sie ja verrathen müssen.
Nun war der ärztliche Besuch zu Ende, weil es hier kaum noch was zu verordnen gab. Schwester Caritas war ihm bis zur Thürschwelle gefolgt, die Augen des Todtkranken ruhten bewegungslos auf der hochschlanken, vornehmen Gestalt in dem wallenden schwarzen Ordenskleide. Er konnte sie nur im Rücken schauen, aber sie kam ihm sonderbar bekannt vor. So vom Rücken aus gesehen, mit den graziösen Schultern, hatte er — es war ein Lebensalter her — zum ersten Mal die gesehen, der er nachher nicht glauben wollte, daß sie ihm die gelobte Treue im Herzen bewahre, die er unbarmherzig von sich gestoßen, die dann gestorben, verdorben war durch seine Schuld. Und jene gleißende Schlange, die sich mit tausend Eiden in sein Herz gelogen, ihr hatte er geglaubt, bis sie ihn verrathen, und die wahrheitsliebenden Augen Jener, die flehentlich zu ihm erhoben waren.Barm
herziger Gott! — In die starren Pupillen kommt unheimliches Leben, ein concentrirtes graueuerfülltes Interesse tritt an die Stelle des geistesabwesenden Geradeausstierens, da nun die fromme Schwester nach einem gewechselten Händedruck und einem geflüsterten: „Können nichts mehr thun, als freundlich abwarteu, daß das Uhrwerk sanft ablüuft" — und ihre Antwort aus innerster Seele heraus, aber mit versagender Stimme! „Mit Liebe, mit Liebe,—" sich langsam an der Thür wendet und der Kranke ihr voll ins Antlitz, in dieses bleiche von Thränen bethaute Antlitz schaut.
Auf der Treppe schüttelt auch der Geheimrath den Kopf. Ist das die ewig gleichmäßige Schwester Caritas, so bewegt hat er sie noch nie an einem Krankenbett gesehen. War's nicht, als quollen Thränen in ihrer Stimme, als sie eben mühsam sprach. Von der Seite kannte er sie doch gar nicht; er hatte sie ja gerade so hoch gehalten, weil sie frei von aller sentimentalen Weichlichkeit schien. „Lerne Einer die Weiber auskenneu. Halt' solchen Respekt vor dem tüchtigen Frauenzimmer gehabt, das so ein ganzer Mensch ist, sapperlot, sapperlot!" Unwillig stieß er dabei den Stock auf und brummte einige Epitheta in den Bart, die dem schönen Geschlecht gerade nicht als Schmeichelei gegolten haben würden.
Langsam, mühsam athmend, war Schwester Caritas von der Thür zurückgekommen, immer schleppender wurde ihr Gang, da sie dem Lager sich näherte. Mit einem jammervollen Laut bedeckte sie die Augen, da sie den Greis sich krümmen und winden sah unter den vergeblichen Anstrengungen, die Lippen zu bewegen, da sie die Augen im angstvollen Erkennen klar auf sich gerichtet sah.
Und nun sprengte die verzweifelte Angst zuletzt
doch den Bann, den die Paralysis um ihn gelegt. Die schwere Zunge wälzte sich erst vergeblich, nun stieß sie mühsam unzusammenhängende Worte hervor: „Todten Zurückgekehrt — arme Sybille —-
Engel der Barmherzigkeit — nicht einsam lassen — Armen sterben —"
Die Kraft ging zu Ende. Auf seine erstarrende Hand weinend, ihre zitternden Lippen daraus gepreßt, lag die barmherzige Schwester auf ihren Knien vor dem Lager. — „Vater, lieber Vater —" und dann stammelnd, abgerissen: „Und vergieb
uns unsere Schuld, wie wir vergeben unfern Schuldigem; um — um meiner Mutter willen — Vater — Vater," angstvoller, beschwörender, da sie die Schatten des Todes mehr und mehr über die sich bläulichfärbenden verschärfenden Züge hinhuschen sieht — „Vater — keine Verbrecherin — eine Reuige, eine Büßende — vergieb uns."
„Unsere Schuld — wie — wie wir vergeben" — seine Hand tappt suchend nach ihrem Haupt, es dunkelt vor den brechenden Augen — die fleischlosen Finger tasten unsicher umher, nun liegen sie segnend auf dem Scheitel, dahin geführt von ihrer bebenden Rechten. — So vergeht eine Stunde wie ein Augenblick. Ein rasselnder Laut, als wenn ein Uhrwerk abschnurrt, ein mühsameres Athemholen gleich einer stoppenden Maschine — ein säuselnder Laut — nun stockt das Räderwerk — nun streckt sich die Gestalt — — vorbei! —
Der Winterabend dämmert grau herein; durch den Spalt der Vorhänge flirrt das Gaslicht, irrt auf dem Teppich bis zu ihr hin. Mechanisch blickt die barmherzige Schwester nach dem Hellen Streifen. Im Nachbarhause wird es hell und Heller. Zwischen Rauschgold und Flitter flimmert Licht am Christbaum auf. Unten auf den Straßen schreien dünne Kinderstimmchen: „Schäfchen, kauft Dreierschäfcheu!" schnurrt der Waldteufel, kreischt die Knarre.
„Barmherziger!" Schwester Caritas fährt, sich besinnend, mit der weißen Hand über die kühle Stirn, die kühl und keusch das Ordenshäubchen umschließt. — Sie hat es seit den letzten Stunden ja ganz vergessen, daß eben die heilige Nacht anbricht und ein wehmüthiges Lächeln zieht über ihr blasses Gesicht hin.
Leise hebt sie sich von den Knien, liebevoll biegt sie die starre Hand auf die Decke, liebevoll streicht sie die Falten des Leintuches zurecht, unter dem in grausiger Starrheit die Formen der gestreckten Gestalt sich abzeichnen. Ein wenig zieht sie den Vorhang bei Seite, damit das gedämpfte Licht das friedfertige von stiller Verklärung übergossene Todtengesicht ihr zeigen kann.
Und so sitzt sie Stunde um Stunde, die halbe Christnacht und hält Todtenwacht, die starre Hand in ihrer, ein glückliches Lächeln aus den Lippen. —
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