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(01/01/2019) 11
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Die Schlösser König §udwig's II.

König Ludwig I., der Großvater des nunmehr Heimgegangenen unglücklichen Fürsten, den neuen großartigen Prachtbau der Residenz im Hofgarten zu München vollendet hatte, ahnte er wohl nicht, daß dieses herrliche Architekturstück einst vom Enkel einen höchst unsymmetrischen Aufbau ans dem Dache des riesigen Schlosses erhalten würde. Von außen gesehen gleicht denn diese Verunstaltung auch einem riesigen Tonnengewölbe, aus Glas und mächtigen Eisenrippen constrnirt, einem mächtigen Bahnhofs­tunnelban, der von der Straße aus erblickt keiues- wegs harmonische Sympathien zu erwecken vermag. Um so eigenartiger und voll zauberhaftem Reiz ist aber das Innere dieses aus dem Dache in einer Länge von 245 Fuß sich ausdehneuden Wiutergar- tens. Der König, welcher sich während der Win­termonate nur vorübergehend in München aufhielt, nur des Nachts ankam, eine Station vor München den königlichen Extrazug verließ und dann zu Wagen in die Residenz fuhr, bewohnte nur drei bis vier Zimmer im obersten Theil des riesigen Schlosses. Von seinem Schlafzimmer aus führte eine Thür direct in den besagten Wintergarten, so daß er jede Minute aus- und eingehen konnte. Niemand als der Hofgärtner durfte ihn betreten, für die Münchener war er ein Mysterium, dem die Fabel noch allerlei kleine Scherze anzuhängeu wußte, Thatsache ist, daß nur die Erzherzogin Gi­sela und eine Sängerin ihn einmal betreten haben, letztere durfte mit ihrer Stimme zuweilen mit den indischen Nachtigallen des wunderbaren Gartens wetteifern. In Mitten des Gartens befindet sich (man denke nur: auf dern Dache eines Hauses) ein kleiner See mit zwei indischen Schwänen, eine reich vergoldete kleine Gondel lag am Gestade für den königlichen Fährmann bereit. Der See erhielt seine Speisung durch einen Wasserfall, der aus einer mächtigen Tropfsteingrotte, in welcher der König nächtlicherweile zu träumen pflegte, hervorrauschte. Die Gesammtscenerie stellt eiue indische Landschaft vor, die abschließende hinterste Wand zeigt eine wundervolle Malerei des Himalayagebirges und ist mit natürlichem Vordergrnndausbau nach Art unserer Panoramen perspectivisch durch ausgesucht schöne Palmen, Bananen und Orangenbäume behandelt, große Spiegel lassen den Garten bis ins Endlose gedacht, erscheinen. Zwei Wege, die sich in einem Halbbogen vereinigen, führen in diesen eigenthüm- lichen Jrrpark, der am See eine natürliche Wiese zeigt mit wundervollen Blumen und Blattgewächsen und Tandardinis prachtvoller Marmorgruppe:Faust uud Gretchen," ein Kiosk niit vergoldeten Kuppeln und Minarets, reich verziert mit kunstvollen Ara­besken, Schnitzwerk und reizenden Glasmalereien, und durch ein magisches Licht erleuchtet. Die indischen Möbelstoffe laden nach morgenländischer Art zum

Ruhen ein, etwas weiter sieht man als Garten­hänschen gedacht, eine Jndianerhütte, dicke Epheu- ranken überdachen einen lauschigen Bogengang. Die Pläne zu diesem Garten hat der König mit eigener Hand gezeichnet. Seit Jahresfrist ist dieses kleine Weltwunder etwas vernachlässigt worden, der See ist abgelassen, weil man ein Durchsickern des Wassers in den unter ihm liegenden Festsaalbau des Schlosses befürchtet hat, hauptsächlich aber auch deshalb, weil der König seine Besuche in München einstellte. Wochenlang vor einer, wenn auch noch so kurzen Uebersiedelnng nach München überfiel ihn ein Grauen vor der Hauptstadt und mit fieberhafter Angst dachte er stets au einen Aufenthalt in der Residenz, in der ihn ohnehin keines Menschen Auge mehr von Angesicht zu Angesicht erblicken konnte.

Jetzt hört der Monarch nicht mehr die lieblich schwärmerische indische Musik, welche hinter den Büschen verborgen spielte, nicht mehr den Gesang der Nachtigallen, die hier wetteifernd ihren klagen­den nächtlichen Schlag ertönen ließen. Da die In­standhaltung des Wintergartens große Summen ver­schlingt, die Beheizung allein 2000 Klafter Holz im Jahre beanspruchte, so will man das riesige eiserne Gewölbe zur größeren Zierde des Schlosses wieder abtrageu und ein Palmeuhaus im englischen Garten daraus machen zur Belustigung des Mün­chener Volkes, das so gerne von diesen Wun­dern aus Tausend uud Einer Nacht zu fabeln wußte.

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Wir eilen jetzt zu einer Stätte am vielgeprie­senen Starnberger See. Je öfter man hiuauskommt uud an seinen Ufern promenirt oder im Kahn oder Dampfschiss all die schönen Villen, Gürten, Buchten und Gasthöfe besucht, desto lieber wird einem der See. Er hat etwas magnetisch Anziehendes, der Fremdling ist hier gleich heimisch, ein frohes Som­merfrischlervolk tummelt sich auf Wegen und Stegen und auf den prachtvollen Dampfern fahren Touri­sten aus allen Ländern, Amerikaner und Englän­der nicht ausgenommen. Wohl mancher hat in den letzten Jahren sehnsüchtig nach Schloß Berg hin­über geschaut, dessen Uferrand Niemand betreten durfte, nur die Thnrmsahne zeigt uns, daß der königliche Einsiedler zu Hanse, aber niemals sah man seine Gestalt im Garten oder auf der Terrasse, der Nachtwandler schlief bei Tage. König Max hatte in Schloß Berg ein fröhliches Tusculum unterhalten, es war ein gastliches Dach für Gelehrte, Künstler und Dichter und der König selbst war ein liebenswürdiger und freundlicher Wirth. Diesen Reiz verlor Schloß Berg unter Ludwig II. sofort und die fürchterliche und abweisende Strenge, mit welcher jede Annäherung hier verboten wurde,