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(01/01/2019) 11
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Die Schlösser König Ludwig's II.

Operettensängerin verliebt war. Ob der König diese Neigung begünstigt hat, weiß man nicht, Thatsache aber ist, daß Prinz Paul mit dem hübschen und talentvollen Fräulein Kreutzer und den unbezahlten Rechnungen seiner Gläubiger ohne Abschied von seinem königlichen Spielgefährten zu nehmen, durch­ging und seitdem lange Jahre, von seiner fürst­lichen Mutter enterbt, auf norddeutschen Bühuen unter dem Namen eines Herrn von Fels und in Gemeinschaft mit seiner Gattin erfolgreich auftrat. Alls dieser Zeit jugendlicher, aber auch gewiß harm­loser Kindereien des Königs stammt ein Marionetten­theater, dessen Puppen heute noch in Schloß Berg in niedlichen kleinen Gruppen ausgestellt sind. Dar­unter sieht man die Figürchen: Siegmund und Sieg­linde, Frau Venus, Tannhäuser, Lvheugrin's An­kunft und den fliegenden Holländer an seinen Mast gelehnt. In einer Schublade fand sich auch in den jüngsten Tagen eine überraschende An­zahl von Brillanten, Ringen, Busennadeln, kost­baren Taschenuhren von bedeutendem Werth, welche Niemand vermuthete. Der König behandelte diese Sachen als Spielereien und benutzte sie um gele- geutlich Leute damit zu beschenkeu, die sich seiner- vorübergehenden Laune zu erfreuen hatten; eine besondere Vorliebe hatte der Monarch für schöne werthvolle Uhren und es ist wohl kein einziger Diener seines Hofstaates, der nicht eine oder mehrere kostbare Taschenuhren mit Kette und Brillanten als Geschenk erhielt. Man hofft bei der Inventur auf den übrigen Schlössern noch ähnliche verschlossene Kostbarkeiten in Menge zu finden.

Während dem Könige in der enorm reich fun- dirten Münchener Hof- und Staatsbibliothek und nicht minder aus der reichhaltigen Privatbibliothek seines Vaters Max die ausreichendsten Literatur­erzeugnisse bis auf die neueste Zeit zur Verfügung standen, hatte der König doch auf jedem seiner Schlösser sich noch eine eigene Bibliothek anschaffen lassen; gute Werke, welche der König oft benutzte, namentlich ornamentale und kunstgeschichtliche Pracht­werke, mußten in mehreren Exemplaren vertreten sein, er schenkte sie den Architekten seiner Schlösser auch anderen Personen, und wenn er ein Buch in Schloß Berg angefangen, wollte er in Hohen­schwangau, um das Buch nicht mitschleppen zu müssen, ein zweites Exemplar zur Benutzung vor­finden. Im Bibliothekzimmer zu Schloß Berg be­findet sich, außer einer wahren Sündfluth von Photographien und Bildermappen, auch eine Separat­abtheilung, deren Literaturfach der König mit einer- wahren Inbrunst, mit Fanatismus cultivirte, es ist die gesammte Literatur überdie heilige Drei­zahl der Lilien von Frankreich" wie der König sie nannte über Louis XIV., XV. und XVI. und Maria Antoinette. Die Statue der letzteren

in Lebensgröße wurde später im Garten als Göttin verehrt, die Dienerschaft mußte nicht anders als kniefällig vor ihr im Vorübergehen erscheinen und der König selbst gerieth in asketische Verzückungen vor der schönen Bildsäule. Auch die Maitressen- literatur jener Zeit ist in Schloß Berg stark in allen Variationen vertreten. Niuvn de l'Enclos, die Montespan, Pompadour, Valliäre, Gräfin Du Vary bilden in Bild und Schrift einen förmlichen Hofstaat in des Königs Bibliothek, und wenn man die enormen Schätze an alten Urkunden und Ab­bildungen aus jener Zeit über Hoffestlichkeiten und sonstige Ereignisse des damaligen Pariser und Ver­sailler Hoflebens sieht, so wird man in der Ver- muthung bestätigt, daß König Ludwig eine Hof- und Sittengeschichte der damaligen Zeit zu schreiben beabsichtigte oder gar die Versuche dazu gemacht hat; viele Nächte hat der Monarch bis zum Morgen­grauen über derartige historische Schätze gebrütet und Notizen gemacht. Eine Zeit lang ging das Gerücht, der König habe ein umfassendes Manuskript der französischeu Geschichte jener Tage unter der Feder.

Wir betreten jetzt einen Raum im Schlosse, in welchem uns unwillkürlich jenes beklommene Gefühl befällt, welches sich unser bemächtigt, wenn wir mit verhaltenem Athen: das Zimmer eines Sterbenden betreten. Alles steht noch so, wie der König es vor seinem letzten Gange verlassen, nur auf einem Tische liegen die beiden Röcke des Er­trunkenen, welche er bei dem Gange in die düsteren Fluthen in den Händen des vr. Gudden zurück­ließ. Beide sind dick wattirt und von außer­ordentlich schwerem Geivicht, wie man sieimSommer nicht zu tragen Pflegt; der König trug auch in der warmen Jahreszeit dichte warme Kleidung und die Cravatte, neben dem schwarzen Schlapphnt liegend, ist ebenfalls aus dickem, beengendein Stoff. Nahe am See hin läuft der verhängnißvolle Pfad, den die beiden Unglücklichen zuletzt gegangen, der Vorpark in der Nähe des Schlosses ist wohl gepflegt mit einem überreichen Rosenflor in voller üppiger Blüthe stehend. Weiter hin wird der Park dicht beschattet und hügelicht, Baum- und Buschwerk bilden ein tiefes Waldesdunkel und ein unheim­licher Schauder ersaßt uns beim Näherkommen der verhängnißvollen Stelle, die eine Lichtung am Ufer bildet. Ist der See ruhig, so kann mau immer­noch die Fußspuren aus dem flachen und klaren Seeboden deutlich erkennen, wirft der See seine kräuselnden Wellen, so sprechen sie eine eigenthüm- lich plätschernde Sprache, welche, wenn sie verständ­licher wäre, wohl manches über den traurigen Vor­gang berichten könnten, der, in ewige Nacht getaucht, ein dunkeles Geheimniß für die Mit- und Nach­welt bleiben wird.