Kunſtgeſchichtliche Äberſicht. LXVII
entgegenſtand, eignete ſich noch am beſten für die Wallfahrtskirche, deren emporen, artige Präſentationsbühne ihre Hauptausdehnung durch die Breite der Kirche ent— faltete. Sie führte zur Steigerung des Querſchiffs unter Verminderung des Lang— ſchiffs, d. h. zum Ausgleich des Unterſchiedes zwiſchen beiden, zum griechiſchen Kreuz.
Überſchauen wir die große Zahl der Zentralkirchen von der frühchriſtlichen Zeit bis ins 13. Jahrhundert, ſo zeigt ſich bei einer großen Anzahl derſelben die Reinheit der Anlage getrübt durch ein Zugeſtändnis an die kirchlichen Zwecke. Leidenſchaftlich begeiſtert für die nach allen Seiten ſymmetriſche Geſtaltung ſucht man ſie lieber durch allerlei Anpaſſungen im kleinen zu retten, als daß man ſie ganz aufgibt. Unter dieſen iſt die Dehnung des Schemas in weſtöſtlicher Richtung eine der häufigſten. Auch bei unſerer Marienkirche zeigt ſich eine ſolche(Abb. 77 u. 80). Doch auch ſie iſt in äußerſt geſchickter Weiſe gerade dem Raumteil zum Vorteil gewendet, für den eine Vergrößerung hier am erwünſchteſten war: dem Querſchiff.
Die Aufgabe, die ungewöhnlichen Forderungen des Zweckes mit den Vorbedin— gungen von Bauplatz und Bauſtoff zu vereinigen, bedurfte eines Meiſters von bedeutendem künſtleriſchen Vermögen. Er ſtand jedenfalls auf der Höhe der Kunſt ſeiner Zeit und war imſtande, mit ihren neuen Errungenſchaften frei zu ſchalten. Eben deswegen dürfte der Eniwurf kaum in Brandenburg entſtanden fein. Die Strahlen, welche die Kunſt Brandenburgs damals lebendig erhielten, weiſen auf Magdeburg als ihre Sonne. Dort nahm gerade mit dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts die Baukunſt einen hohen Aufſchwung durch den ſeit 1208 unternommenen Neubau des Domes, deſſen erſter romaniſcher Entwurf wohl den Prämonſtratenſern zuzuſchreiben iſt. Die 1222 im Bau begriffene Marienkirche Brandenburgs zeigt in ihrer formalen Ausbildung verſchiedene Einzelerſcheinungen, welche der heimiſchen Backſteinkunſt vom Anfange des 13. Jahrhunderts fremd ſind. Die Abtreppung der Turmgiebel iſt von auffallend kleinlicher Art; die Frieſe, zumal die erhaltenen Reſte von Bogenfrieſen erſcheinen als Nachahmung der Werkſteintechnik; die zierlichen Rund— fialen, welche in Backſtein kaum ſolide ausführbar find, ſtehen hier einzig da; die Wölbekunſt und ihre Anwendungen zeigen ſich auf einer für Brandenburg erſtaunlichen Höhe.
Es iſt kein Zweifel: der Meiſter unſerer Marienkirche ging aus der Schule der Werkleute hervor, welche die in Einzelheiten verwandten Dome von Magdeburg und Halberſtadt errichteten. Nur von dort dürfen wir den Anzeichen nach den Baukünſtler erwarten, welcher mit ſolcher Freiheit und Sicherheit ſeine Anordnungen trifft, die ſtatiſchen Wirkungen der Gewölbe ſo genau kennt und ihnen ſo geſchickt zu begegnen weiß.
Die bis dahin an den Kirchen Brandenburgs ausſchließlich angewendete baſilikale Anordnung und Beleuchtung war— ſoweit wir beurteilen können— mit der Marienkirche für immer überwunden. Der bedeutende Grad von Vollendung, den die Wölbe— kunſt durch die Gliederung der Pfeiler, die Ausbildung der Rippen und die Herſtellung doppelt gekrümmter, alſo freihändig gewölbter Kappen hier erreicht hatte, ſollte bald