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Eine ungekannte Welt : Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben / von Judäus
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That seines ganzen Lebens besiegelt. Gottes Gnade hat ihm auch als Graukopf noch einen Hauch der Jugend bewahrt, und alljährlich, wenn sich in der Scheidestunde des Jom Kippur sein 'rüi mn 'n aus bewegtem Herzen über die betenden Lippen ringt, geht ihm eine Ahnung durch die Seele von dem Antheil, den dieses wunderbare Erlebniß daran hat, daß ihm trotz schwerer Mühen und Kämpfe, doch seine Lauterkeit und seine Jugend ungetrübt durch Gottes Gnade verblieben sind.

Aber das Gedächtniß an diese wunderbare Begebenheit beschränkt sich nicht auf die Nella-Stunde, sondern begleitet ihn mitten durch's wogende Leben. Wo die Sünde und Leiden­schaft sich an ihn herandrängen wollen, gedenkt er seiner ver­loren geglaubten Reinheit der Jugend und der wunderbaren Weise, durch welche Gott ihm ihren hohen Werth in einem Alter nahelegte, in welchem die meisten Menschen die Bedeutsamkeit die hohen, unersetzlichen Giitcr so vielfach verkennen. Dieses Bewußtsein wandelt ihm das ganze Leben zu einem großen Jom Kippur um, und läßt ihn nie die große letzte Nerla ver­gessen, welche die Zeitlichkeit abschlieht und die Pforte zur Ewigkeit öffnet.

Aber um dieses Bewußtsein in jeder gotttreuen Brust zu wecken, bedarf es nicht erst eines Traumgesichts. Jeder Jüng­ling und jede Jungfrau erhalten neu mit jedem Morgen ihre frische Jugend wieder aus Gottes Hand. Glücklich die Jugend, die mit ihrer Vollkraft die Mäßigung und Reife des Alters verbindet und in dieser Vollkraft zu Gott und seinem Gesetz zurückkehrt, sobald sie dieselben verlassen hat. Diese Gesinnung des Alters in der Jugend sichert dem höchsten Alter den Reiz der Jugend, das auch dann, wenn die Schatten sich dehnen, noch dem letzten Tag cntgegenlächelt, und der großen Nella des