92 LANGGEMACH, T.& P. SÖMMER: Situation und Schutz der Adlerarten
Der Prozentsatz gefundener Adler, die gegenwärtig unbeabsichtigt‘ Opfer anthropogener Einflüsse werden, ist erschreckend hoch. An erster Stelle liegen mit 20% die Funde an elektrischen Freileitungen(vgl. LANGGEMACH& BÖHMER, 1.Dr.). Neun Adler wurden seit 1990 Stromschlagopfer an Mittelspannungsleitungen. Drei von ihnen lagen unter Masten mit Stützisolatoren, einer unter einem Abspannmast mit waagerecht hängenden Isolatoren, einer unter einem Trafomast und zwei sogar an Holzmasten mit seitlich laufenden Leiterseilen, die im allgemeinen als sicher gelten. Mit Sicherheit ist einer dieser beiden am Mastkopf gestorben, wo er hängend gefunden wurde. Bei dem anderen, der etwas abseits des Mastes gefunden wurde, könnte auch ein Anflug mit Kurzschluß gegen die vor einer Waldkante verlaufende Leitung stattgfunden haben. Bei den beiden übrigen Vögeln war der genaue Fundort nicht rekonstruierbar, aber Strommarken zeigten eindeutig die Todesursache an.
Es ist nicht auszuschließen, daß weitere Adler, bei denen verschiedene Traumata diagnostiziert wurden, ebenfalls Leitungsopfer waren. Verletzungen im Flügelbereich bei mehreren dieser Vögel sprechen für ein Anfliegen gegen Hindernisse, möglicherweise schlecht sichtbare Strukturen wie Leiterseile. Auch bei drei der Adler, die tot an Eisenbahnstrecken gefunden wurden, ist eine ursächliche Beteiligung der streckenbegleitenden Verdrahtung nicht auszuschließen. Von einer erheblichen Dunkelziffer an Leitungsopfern, die überhaupt nicht gefunden werden, ist auszugehen. HAAS(1995) schätzt ein, daß die Mortalität von Greifvögeln und Eulen durch Stromschlag stets unterschätzt wird, sofern keine systematischen Untersuchungen erfolgen.
Dies gilt mit Sicherheit auch für den Tod an Bahnschienen. Es gibt nur relativ wenige Veröffentlichungen zur Rolle von Bahnstrecken für die Vogelwelt, diese deuten jedoch auf hohe Verluste, auch unter Greifvögeln, hin(z.B. LEHMANN 1981, BALDAUF 1988, LOREK& STANKOWSKI 1991). Dadurch, daß Eisenbahntrassen im übrigen relativ ungestörte Bereiche sind, bieten sie auch fakultativ nekrophagen Arten mit hoher Störungsempfindlichkeit, wie dem Seeadler, ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Offenbar kommt es unter bestimmten Voraussetzungen zu erhöhtem Verlustgeschehen. So wurden Anfang 1996 auf einem relativ kleinen Streckenabschnitt im Norden Brandenburgs zwei, wahrscheinlich sogar drei tote Seeadler gefunden. Es ist denkbar, daß der strenge Winter, der die meisten Gewässer für lange Zeit zufrieren ließ, dazu geführt hat, daß die noch anwesenden Adler sich vermehrt von überfahrenen Tieren an den Bahnschienen ernährt haben und dabei selber zu Tode kamen. Die illegale Aneignung der zwei(bzw. drei) Tiere durch Unbekannte und die komplizierten nachfolgenden Ermittlungen zeigen, wie schwierig es bisweilen ist, an schutzrelevante Informationen zu gelangen, wenn Egoismus oder Gewinnsucht im Spiel sind.
Tierische Feinde flügger Seeadler wurden bisher anhand der in Brandenburg tot gefundenen Seeadler nicht nachgewiesen. Einzige bisher in der Mark nachgewiesene Ausnahme ist der Tod von Adlern infolge von Revierkämpfen(UTTENDÖRFER(1952) erwähnt allerdings einen jungen Seeadler als Beute eines Artgenossen). Ein höheres Prädationsrisiko besteht bei Nestlingen, hier ist allerdings die Abwesenheit der Altvögel Voraussetzung, die(solange die Jungvögel noch klein sind) nur Folge einer Störung sein kann. Derartige Verluste sind beschrieben(FISCHER 1982); sie sind allerdings ebenso wie Gelegeverluste im Nachhinein schwer nachvollziehbar. Wird erst am Ende der Aufzuchtszeit das Fehlen des Bruterfolges festgestellt, ist das Erscheinungsbild bei Nestlingsprädation oft nicht anders als bei anderen Ursachen für das Scheitern der Brut.
Bei den Adlern, die in den letzten Jahren Krankheiten zum Opfer gefallen sind, wurden in sieben Fällen chronische Veränderungen des Leber-Gallen-Systems diagnostiziert. Die Genese war nur in einigen Fällen erkennbar(Infektion, Trematodenbefall). Ob Schadstoffe, z. B. Blei, eine Rolle