122 LANGGEMACH, T.& BLOHM,T.: Schreiadler am Ende der„Blei-Nahrungskette““?
TORSTEN LANGGEMACH& TORSTEN BLOHM
Beim Steinadler(Aquila chrysaetos ) gibt es Hinweise darauf, daß er über den Verzehr von bleihaltigem Wildaufbruch gebietsweise einer erhöhten Bleibelastung bis hin zur Todesfolge unterliegt(BEZZEL& FÜNFSTÜCK 1994, 1995). Auch für Angehörige der Gattung Haliaeetus existieren bereits seit längerem entsprechende Nachweise: Nicht nur über Wildaufbruch, sondern auch über den Konsum von angebleiten Wasservögeln können sie erhöhte Bleimengen aufnehmen und in verschiedenen Körpergeweben, vor allem Leber, Nieren und Knochen, akkumulieren(JACOBSON et al. 1977, REDIG et al. 1980, PATTEE et al. 1981, FALANDYSZ et al. 1988). Gründelnde Wasservögel können aber auch auf oralem Weg Bleischrote aufnehmen und sie über die Nahrungskette an den Seeadler„weiterreichen‘“. Wie groß die Bleibelastung bei verschiedenen Wasservogelarten ist, zeigt ein Literaturüberblick bei MOOLJ (1990). In einer späteren Untersuchung betrug die Nachweisrate von Bleischrot in den Mägen verschiedener Enten- und Gänsearten in British Columbia zwischen 7,1 und 26,8%. Unter 65 aufgefundenen Weißkopfseeadlern(Haliaeetus leucocephalus ) hatten dement- sprechend 37% eine deutliche Bleibelastung, wobei 14% Symptome einer Vergiftung erkennen ließen (ELLIOTT et al. 1992). Beim Schreiadler(Aquila pomarina ) ist dieser Weg nur schwer vorstellbar. Im Gegensatz zum nah verwandten Schelladler(Aquila clanga ) spielen Wasservögel in seiner Nahrung kaum eine Rolle, worauf schon WENDLAND (1959) hinwies. Überwiegend nimmt der Schreiadler kleinere Beute, die er an Land erbeutet.
Daß das Risiko einer Bleiaufnahme auf dem beschriebenen Weg dennoch nicht auszuschließen ist, zeigte sich bei einer Horstkontrolle am 15.August 1997 im Anschluß an die Brut- und Aufzuchtzeit. Unter einem in diesem Jahr nicht besetzten, aber zumindest besuchten Eichenhorst des Schreiadlers(Mauserfedern!) wurden die Reste einer Ente gefunden: Schädelreste, einige Wirbel sowie ein Schulterblatt mit daranhängendem Rabenschnabelbein. Nach der Bestimmung im Naturkundemuseum Berlin, wofür Herrn J. FIEBIG unser Dank gebührt, handelte es sich um eine Stockente(Anas platyrhynchos). Am Os frontale (Stirnbein) ließ sich ein Bleischrotkorn von 3 mm Durchmesser feststellen. Das Schrotkorn hat das Stirnbein nicht durch-, sondern nur angeschlagen und wurde in der Folge von Knochengewebe teilweise eingekapselt (Abb. 1+2). Wenngleich dieser Heilungsprozeß zeigt, daß die Ente nicht direkt an dem Schrotschuß verendet ist, kann mit einer schleichenden Bleivergiftung durch die im Körper sitzenden Geschoßteile gerechnet werden(HAAS 1995).
Entsprechend geschwächte und auffällige Vögel kommen für den Schreiadler eher als Beute in Betracht als gesunde. Eine zweite Möglichkeit, an derart große Beute zu gelangen, ist über das Beuteschmarotzen beim Habicht denkbar. Das Risiko der Bleiaufnahme bleibt davon jedoch unberührt. Diese Gefahr besteht, auch wenn im hier beschriebenen Fall nicht hundertprozentig bewiesen ist, daß die Stockente tatsächlich von einem Schreiadler gekröpft wurde. Immerhin wurde die Stockente in unserem noch begrenzten Stichprobenumfang in zwei weiteren Fällen als Beutetier nachgewiesen, daneben weitere jagdbare Tierarten.