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Die erfolglosen Brutvögel wurden anschließend weder im Umfeld der verlassenen noch der aktiven Kolonien entdeckt. Auch auf das gesamte BR SW ausgedehnte, wiederholte Kontrollen verliefen stets negativ. Insofern kann ausgeschlossen werden, dass sich diese Kiebitze noch einige Zeit nach der Aufgabe ihrer Brutplätze im Gebiet aufgehalten oder dort gar gemausert haben. Es ist daher von einem Abzug auszugehen. Diese Befunde bestätigen einen über viele Jahre hindurch gewonnenen Eindruck: Bereits in der letzten Aprildekade haben sich die Zahl der besetzten Kolonien und auch diejenige der noch anwesenden Brutvögel merklich verringert. Das plötzliche und frühe Verlassen vieler Reviere wird wahrscheinlich durch einen niedrigen Bruterfolg, verursacht durch einen außerordentlich hohen Prädationsdruck, ausgelöst( s. Abschnitt 6.1.6) und möglicherweise durch den raschen Aufwuchs der Vegetation gefördert.
Auch in Studien in der Schweiz bzw. in Schles wig- Holstein wurde eine Abwanderung von Brutvögeln bereits im April festgestellt( IMBODEN 1970, NEHLS 2000, KÖSTER et al. 2001). Die frühe Aufgabe vieler Brutplätze und vor allem der sich sogleich anschlieBende Abzug der Vögel ist in mehrfacher Hinsicht rätselhaft. Dieses Phänomen und weitere Szenarien werden im Kontext von Bestandsentwicklung, Gelegeverlusten und Zugverhalten im Abschnitt 6.1.7 diskutiert.
6.1.6 Bruterfolg
Der Bruterfolg im BR SW wurde in drei Jahren ( 2018-20) genau untersucht. Innerhalb der einigermaßen großen Stichprobe( n= 333 untersuchte Rev.) unterschieden sich die jährlichen Ergebnisse nur unwesentlich voneinander. Daher können die Aussagen als repräsentativ gelten, wenngleich zu beachten ist, dass sie sich nicht auf Brutpaare, sondern auf kartierte Männchen beziehen. Der Anteil zum Zeitpunkt der Erfassung als unverpaart notierter Männchen lag 2018 und 2019 bei jeweils 8%, 2020 bei 18%. Es ist mithin nicht auszuschließen, dass sich nach den Erfassungsterminen noch einzelne weitere Weibchen angesiedelt haben( s. Abschnitt 6.1.2) und insofern etwas weniger Männchen als bekannt unverpaart geblieben sind.
Die Reproduktionsrate war mit lediglich 0,03-0,1 Juv. pro Revier und Jahr extrem gering( und
Otis 28( 2021)
läge auf Weibchen bezogen bei 0,04-0,13). Anders formuliert: Bruterfolg beim Kiebitz im Spreewald ist heutzutage ein sehr seltenes Ereignis als Folge von Prädation und Landnutzung. Im Hinblick auf die aktuell ermittelten Werte gehe ich von einer vollständigen Erfassung sämtlicher flügge gewordener Jungvögel in allen drei Jahren aus. Prädation beim Kiebitz ist auch im Spreewald kein neues Phänomen. Schon in den 1990er Jahren befand sich die Nachwuchsrate auf einem sehr geringen Niveau( RYSLAVY& MÄDLOW 2001; beachte anderen Flächenbezug, höhere Verluste durch Landwirtschaft u. mögliche Erfassungslücken). Jedoch gab es in einzelnen Kolonien durchaus noch Bruterfolg in etwas größerem Umfang als in den letzten Jahren( z. B. im Jahr 1997 mind. 10 flügge Juv. bei 15 BP an den Schlepziger Teichen).
Die desolaten Reproduktionsraten im Spreewald sind keine überraschende und räumlich isolierte Erkenntnis, vielmehr bestätigen sie die Resultate zahlreicher weiterer Studien zum Bruterfolg beim Kiebitz ( RYSLAVY& MÄDLOW 2001, BELLEBAUM et al. 2005, EIKHORST 2005, LITZBARSKI& LITZBARSKI 2008, BELLEBAUM & Bock 2009). In Mitteleuropa ist seit längerer Zeit ein großräumiges Absinken des Bruterfolgs bekannt und vielfach nachgewiesen worden( IMBODEN 1970, TEUNISSEN et al. 2005, HÖTKER 2015, PLARD et al. 2019).
Die für eine Bestandserhaltung notwendige Nachwuchsrate beträgt SOUCHAY& SCHAUB( 2016) zufolge 0,7-1,2 Juv./BP. Hierbei ist zu beachten, dass der niedrige Wert für die Standvögel Großbritanniens gilt, der hohe Wert hingegen für fennoskandische Brutvögel ermittelt wurde. Für die Populationen Deutschlands ( mit mittleren Zugstrecken) wird eine Nachwuchsrate von 0,9 Juv./BP als ausreichend angesehen. Eine aktuelle, sehr gründliche Studie von PLARD et al.( 2019) konnte belegen, dass Kiebitzpaare in Schleswig- Holstein etwa 0,8 Jungvögel aufziehen müssen, um den Bestand zu erhalten. Von diesem Wert- der lediglich ausreichen würde, den geringen Bestand nicht weiter absinken zu lassen(!)- sind die hiesigen Werte unerreichbar weit entfernt.
In vielen Schutzgebieten konnten bewirtschaftungsbedingte Verluste von Gelegen und Küken erheblich reduziert werden, in erster Linie durch ein Aussetzen der Nutzung während der Brutzeit( z. B. maschinelle Aktivitäten und Viehtritt)- erkennbar positive Auswirkungen auf den Bruterfolg blieben indes meist aus( EIKHORST 2005). Dieses Dilemma