124 Schriftenschau Otis 30(2023) Nelson, A.& H. Merker(2023): Die Kraft der Vogelbeobachtung. Freya Verlag GmbH, 287 S. (ISBN 978-3-99025-467-7). 29,90€. Wer Vögel um sich herum hat, ist zufriedener und ausgeglichener. Das ist eine gute Nachricht für alle Vogelfreunde, weshalb wir in unserer Rubrik„Aktuelles aus der Vogelschutzwarte“ bereits mehrfach entsprechende Studien erwähnt haben. In der Otis 28(2021) endet dies mit dem Satz„Und wenn man sich dessen bewusst ist, lässt es sich ganz sicher nochmals steigern.“ Dies ist quasi schon ein Brückenschlag zu einem Buch, das in diesem Jahr zu eben diesem Thema erschienen ist:„Die Kraft der Vogelbeobachtung“. Hier geht es genau um die Achtsamkeit, das bewusste Erleben. Damit liegt das Buch voll im Trend der Zeit, die durch ihre immer größere Hast, Kurzatmigkeit und Oberflächlichkeit auch eine Gegenbewegung erzeugt hat – die des Innehaltens und der Besinnung. Dass man dem im Zusammenhang mit der Vogelbeobachtung ein ganzes Buch widmen kann, überrascht zunächst und macht neugierig. Neugierig macht auch das Autorinnen-Duo, dessen Herkunft österreichisch-bayerisch und US-amerikanisch ist. Tatsächlich ist unser Buch auch inspiriert durch ein 2021 erschienenes Buch aus Nordamerika, in welchem Holly Merker die Erstautorin ist:„Ornitherapy: For your mind, body and soul“. Ganz so weit geht das deutschsprachige Werk nicht – es verfolgt keinen therapeutischen Ansatz und möchte auch keine Ornis therapieren. Aber es möchte den Blick öffnen und auch das Herz. Dies erfolgt u. a. über„63 Anleitungen zu kleinen Auszeiten im Alltag“. Man wird sie als LeserIn nicht fortan 1:1 umsetzen, und ganz sicher gilt auch hier„nicht alles taugt für jede/n“, aber es sind doch eine ganze Menge Denkanstöße enthalten. Mir gefällt z. B.„Nimm Dir die Zeit, alles und jedes zu hinterfragen. Sei wie ein Kind.“ Viel zu oft glauben wir, bereits alles zu wissen. Über viele Dinge denken wir gar nicht mehr nach. Die kurzen inhaltlichen Kapitel werden immer wieder untermalt durch persönliche Anekdoten der Autorinnen, Sinnsprüche vieler Prominenter von Hippokrates bis David Attenborough, viele Fotos und nicht zuletzt kleine digitale Exkursionen. Dafür muss man sich die Freya-Bücher-App aufs Handy laden und kann dann die markierten weiterführenden Bilder scannen. Auf diesem Weg landet man z. B. bei Tipps zum Erwerb eines Fernglases oder bei den Dialekten der Goldammer in Xeno-Canto. Wer soll nun angesprochen werden durch dieses Buch? Ich glaube, da gibt es eine Vielzahl von Adressaten. Leute, die bisher überhaupt keine Vogel-Erfahrungen besitzen, können z. B. auf die Spur gebracht werden, wenn sie offen und neugierig sind. Erfahrene Ornithologen werden vielleicht nicht viel neues Fachwissen finden, aber womöglich ihre Sichtweise etwas verändern und offener für die Feinheiten und den bewussten Naturgenuss werden. Und dann wären da noch die Listenführer, denen der schnelle Haken hinter einer neuen Art bisher ausreicht, oder Seltenheitenhascher, die 300 km für den Gelbschnabeltaucher über die Autobahn düsen, um sich dann eine Woche lang zu ärgern, dass sie ihn verpasst haben. All jenen kann man das Buch, sofern sie nicht selber darauf kommen es zu kaufen, auch schenken. Ob es dann auf fruchtbaren Boden fällt, hängt mehr von der Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen ab als etwa von ornithologischer Vorbildung. Insofern halte ich mich mit einer allgemeingültigen Empfehlung zurück und sage nur, dass ich es durchaus mit Gewinn gelesen habe. Torsten Langgemach
Heft
(2023) 30
Seite
124
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten