Heft 
(1898) 02
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der nie 'ne Schlacht verloren. Und einige sagen, er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder. Aber ich will so was nicht gesagt haben."

IV.

Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger, also auch ältester Dame Zustehende Tafel­aufhebungsrecht verzichten zu wollen und wartete, bis statt ihrer der schon seit einer Viertelstunde sich nach seiner Meerschaumpfeife sehnende Dubslav das Zeichen zum Aufbruch gab. Alles erhob sich jetzt rasch, um vom Eßzimmer aus in den nach dem Garten hinaussehendeu Salon zurückzukehreu, dem es war es Zufall oder Absicht? in diesem Augenblick noch an aller Beleuchtung fehlte; nur im Kamin glühten noch ein paar Scheite, die während der Essenszeit halb niedergebrannt waren, und durch die offenstehende hohe Glasthür fiel von der Veranda her das Licht der über den Parkbäumeu stehenden Mondsichel. Alles gruppierte sich alsbald um Frau von Gunder­mann, um dieser die Mutigeren unter Handkuß die pflichtschuldigen Honneurs zu machen, während Martin die Lampen, Engelke den Kaffee brachte. Das ein paar Minuten lang geführte gemeinschaft­liche Gespräch kam über ein unruhiges Hin und Her nicht hinaus, bis der Knäuel, in dem man stand, sich wieder in Gruppen auslöste.

Das erste sich abtrennende Paar waren Rex und Katzler, beide passionierte Billardspieler, die sich Katzler übernahm die Führung erst in den- saal zurück und von diesem aus in das daneben ge­legene Spielzimmer begaben. Das hier stehende, ziemlich vernachlässigte Billard war schon an die fünfzig Jahre alt und stammte noch aus des Vaters Zeiten her. Dubslav selbst machte sich nicht viel aus Spiel überhaupt' und interessierte sich, soweit sein Billard in Betracht kam, nur für eine sehr nach­gedunkelte Karoline, von der ein Berliner Besucher mal gesagt hatte:Alle Wetter, Stechlin, wo haben Sie die Herd Das ist ja die gelbste Karoline, die ich all mein Lebtag gesehen habe," ^ Worte, die damals solchen Eindruck auf Dubslav gemacht hatten, daß er seitdem ein etwas freundlicheres Verhältnis zum Billard unterhielt und nicht ungern von seiner Karoline" sprach.

Das zweite Paar, das sich aus der Gemeinschaft abtrennte, waren Woldemar und Gundermann. Gundermann, wie alle an Kongestionen Leidende, fand es überall zu heiß und wies, als er ein paar Worte mit Woldemar gewechselt, auf die offenstehende Thür. Es ist ein so schöner Abend, Herr von,Stechlin; könnten wir nicht auf die Veranda hinaustretend"

Aber gewiß,- Herr von Gundermann. Und wenn wir uns absentieren, wollen wir auch alles Gute gleich mitnehmen. Engelke, bring uns die kleine Kiste, du weißt schon."

Ah, kapital. So ein paar Züge, das schlägt nieder, besser als Sodawasser. Und dann ist es auch wohl schicklicher im Freien. Meine Frau, wenn wir zu Hause sind, hat sich zwar daran gewöhnen müssen und spricht höchstens mal von ,paffen (na, das is nicht anders, dafür is man eben verheiratet), aber in einem fremden Hause, da fangen denn doch die Rücksichten an. Unser guter alter Kortschädel sprach auch immer von ,Dehors'."

Unter diesen Worten waren Woldemar und Gundermann vom Salon her auf die Veranda hinausgetreten, bis dicht an die Treppenstufen heran, und sahen auf den kleinen Wasserstrahl, der auf dem Nundell aufsprang.

Immer, wenn ich den Wasserstrahl sehe," fuhr Gundermann fort,muß ich wieder an unfern guten alten Kortschädel denken. Is nu auch hinüber. Na, jeder muß mal, und wenn irgend einer seinen Platz da oben sicher hat, der hat ihn. Ehrenmann durch und durch, und loyal bis auf die Knochen. Redner war er nicht, was eigentlich immer ein Vorzug, und hat mit seiner Schwätzerei dem Staate kein Geld gekostet; aber er wußte ganz gut Bescheid, und, unter vier Augen, ich habe Sachen von ihm gehört, groß­artig. Und ich sage mir, solchen kriegen wir nicht wieder..."

Ach, das ist Schwarzseherei, Herr von Gunder­mann. Ich glaube, wir haben viele von ähnlicher Gesinnung. Und ich sehe nicht ein, warum nicht ein Mann wie Sie..."

Geht nicht."

Weber Land und Meer.

!Warum nicht?"

!Weil Ihr Herr Papa kandidieren will. Und

! da muß ich zurückstehen. Ich bin hier ein Neuling.

^ Und die Stechlins waren hier schon..."

Nun gut, ich will dies letztere gelten lassen, und nur was das Kandidieren meines Vaters an­geht ich denke mir, es ist noch nicht so weit, vieles kann noch dazwischen kommen, und jedenfalls wird er schwanken. Aber nehmen wir mal an, es ^ sei, wie Sie vermuten. In diesem Falle träfe doch gerade das zu, was ich mir soeben zu sagen erlaubt ! habe. Mein Vater ist in jedem Anbetracht ein treuer Gesinnungsgenosse Kortschädels, und wenn er an ^ seine Stelle tritt, was ist da verloren? Die Lage bleibt dieselbe."

Nein, Herr von Stechlin."

Nun, was ändert sich?"

Vieles, alles. Kortschädel war in den großen Fragen unerbittlich, und Ihr Herr Vater läßt mit sich reden..."

Ich weiß nicht, ob Sie recht haben. Aber wenn es so wäre, so wäre das doch ein Glück ..."

Ein Unglück, Herr von Stechlin. Wer mit sich reden läßt, ist nicht stramm, und wer nicht stramm ist, ist schwach. Und Schwäche (die destruk­tiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung), Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie."

Die vier andern der kleinen Tafelrunde waren im Gartensalon zurückgeblieben, hatten sich aber auch zu zwei und zwei zusammengethan. In der einen Fensternische, so daß sie den Blick auf den mond- beschieuenen Vorplatz und die draußen auf der Veranda auf und ab schreitenden beiden Herren hatten, saßen Loreuzen und Frau von Gundermann. Die Gundermann war glücklich über das Tete-a-tete, denn sie- hatte wegen ihres jüngsten Sohnes aller­hand Fragen auf dem Herzen oder bildete sich wenigstens ein, sie zu haben. Denn eigentlich hatte sie für gar nichts Interesse, sie mußte bloß, richtige Berlinerin, die sie war, reden können.

Ich bin so froh, Herr Pastor, daß ich nun doch einmal Gelegenheit finde. Gott, wer Kinder hat, der hat auch immer Sorgen. Ich möchte wegen meines Jüngsten so gerne mal mit Ihnen sprechen, wegen meines Arthur. Rudolf hat nur keine Sorgen gemacht, aber Arthur. Er ist nun jetzt eingesegnet, und Sie haben ihm, Herr Prediger, den schönen Spruch mitgegeben, und der Junge hat auch gleich den Spruch auf einen großen Weißen Bogen ge­schrieben, alle Buchstaben erst mit zwei Linien neben-

- einander und dann dick ausgetuscht. Es sieht aus wie 'n Plakat. Und diesen großen Bogen hat er sich in die Waschtoilette geklebt, und da mahnt es ihn immer."

Nun, Frau von Gundermann, dagegen ist doch nichts Zu sagen."

Nein, das will ich auch nicht. Eher das Gegen­teil. Es hat ja doch was Rührendes, daß es einer so ernst nimmt. Denn er hat zwei Tage dran ge­sessen. Aber wenn solch junger Mensch es so immer liest, so gewöhnt er sich dran. Und dann ist ja ! auch gleich wieder die Verführung da. Gott, daß man gerade immer über solche Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem Herrn Haupt­mann über unfern Volontär Vehmeyer gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit ! Ihnen, Herr Pastor, auch über so was. Aber es ^ geht nicht anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie ^ verantwortlich für seine Seele."

Lorenzen lächelte.Gewiß, liebe Frau von

Gundermann. Aber was ist es denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?"

Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, sie i solle bei uns angelernt werden. Nun, wir sind kein ! großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel abnehmen , und 'rumpräsentieren, und daß sie weiß, ob links oder rechts, so viel lernt sie am Ende doch."

-Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn'

! ich ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr

eingesegnet. Und es ist, wie Sie sagen, ein aller­liebstes Geschöpf und klug und aufgekratzt, ein bißchen zu sehr. Sie will zu Ostern nach Berlin."

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Wenn sie nur erst da wäre. Mir thut es beinahe schon leid, daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber so geht es einem immer."

Ist denn was vorgefallen?"

Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; der hat sich auch erst rausgemausert, seit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut ist. Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe 'rauf und will dem Jungen sagen, daß er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob Krammetsvögel da sind, und die Thür steht halb auf, was noch das beste war, und da seh' ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze 'raus­steckt; so was von spitzer Zunge Hab' ich mein Leb­tag noch nicht gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung. Und als ich nu dazwischentrete, da kriegte ja nu der arme Junge das Zittern, und weil ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte, ging ich bloß hin und klappte den Waschtischdeckel auf, wo der Spruch stand, und sah ihn scharf an. Und da wurke er ganz blaß. Aber das Balg lachte."

Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat keine Tugend."

Ich weiß doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen..."

Ja, Damen..."

Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit derartigen Intimitäten kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Ver­legenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit versetzte, hatte sich Dubslav niit Hauptmann von Czako in eine schräg gegenüber gelegene Ecke zurückgezogen, wo eine altmodische Causeuse stand, mit einem Marmortischchen davor. Auf dem Tische zwei Kaffee­tassen samt aufgeklapptem Liqueurkasten, aus dem Dubslav eine Flasche nach der andern herausnahm. Jetzt, wenn man von Tisch kommt, muß es immer ein Cognac sein. Aber ich bekenne Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die Mode nicht mit; wir aus ! der alten Zeit, wir waren immer ein bißchen fürs Süße. Creme de Cacao, na, natürlich, das is Damenschnaps, davon kann keine Rede sein; aber Pomeranzen oder, wie sie jetzt sagen, Cura^ao, das ist mein Fall. Darf ich Ihnen einschenken? Oder- Vielleicht lieber Dauziger Goldwasser? Kann ich übrigens auch empfehlen."

Dann bitte ich um Goldwasser. Es ist doch schärfer, und dann bekenne ich Ihnen offen, Herr Major . . Sie kennen ja unsre Verhältnisse, so 'n bißchen Gold heimelt einen immer an. Dian hat keins und dabei doch zugleich die Vorstellung, daß man es trinken kann es hat eigentlich was Großartiges."

Dubslav nickte, schenkte von dein Goldwasser ein, erst für Czako, dann für sich selbst und sagte:Bei Tische Hab' ich die Damen leben lassen und Frau von Gundermann im speziellen. Hören Sie, Haupt­mann, Sie verstehen's. Diese Rattengeschichte..."

Vielleicht war es ein bißchen zu viel."

I, keineswegs. Und dann, Sie waren ja ganz unschuldig, die Gnäd'ge fing ja davon an; erinnern Sie sich, sie verliebte sich ordentlich in die Geschichte von den Ninnsteinbohlen, und wie Sie drauf 'rumgetrampelt, bis die Ratten 'rauskamen. Ich glaube sogar, sie sagte ,Biester'. Aber das schadet nicht. Das ist so Berliner Stil. Und unsre Gnäd'ge hier (beiläufig eine geborene Helfrich) is eine Vollblutberlinerin."

Ein Wort, das mich doch einigermaßen über­rascht."

Ah, ich verstehe. Sie sind einer gewissen Un- ausreichendheit begegnet und verlangen mehr Ouadrat. Von Kubik will ich nicht sprechen. Aber wir von Adel müssen in diesem Punkte doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken, wenn das das richtige Wort ist. Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel; der linke nähert sich unsrer geborenen Helfrich. Uebrigens unterhaltliche Madam. Und wie beseligt sie war, als sie den Namenszug auf Ihrer Achsel­klappe glücklich entdeckt und damit den Anmarsch auf die Münzstraße gewonnen hatte. Was es doch alles für Lokalpatriotismen giebt!"