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Ueber Land und Meer.
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„Bolle läßt übrigens grüßen," schaltete Mecerino ein.
Spätzchen schämte sich, ich sah's ihr an. Sie würde gewiß geflunkert haben, wenn ihr irgend eine passende Ausflucht eingefallen wäre. Aber nach dem Verhör mit Mecerino konnte ihr wirklich nichts Passenderes als die Wahrheit einfallen.
„Um die Stiele der Rosen war's gewickelt," gab sie etwas kleinlaut zu.
„Werden sie gewesen sein naß, hat die Goldstein gefürchtet für Glasphyras Handschuh' — hat sie genommen aus der Schublade ein altes Stück Papier — war's die Quittung über die Dschim- Dschims." Er hielt Spätzchen den Zettel wieder hin. „Sie ist übrigens verjährt."
Spätzchen ballte das Papier zur Kugel und feuerte es auf Mecerino.
„Für Ihre Frechheit!" lachte sie.
Er hob den Ball auf und revanchierte sich. Mehrere Male flog der Ball hin und zurück.
„Daß er nur nicht in die Suppe fällt," sagte Cohn ängstlich.
Auf diese indirekte Jnvite hin setzten wir uns mit Isidor Cohn zu Tisch. (Fortsetzung folgt.)
Ein bürgerlicher Laushalt in A'aris.
Eugen v. Jagmv.
^s fehlt auch in Paris nicht an jenen modernen Häusern,
die man als „maisons de äeinain" bezeichnet hat — Riesenkasernen mit 30 bis 35 teuren Wohnungen und mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet — aber sie sind erheblich seltener als in Berlin, mit dem ich im folgenden wiederholt kurze Vergleiche anstellen werde. Ein Berliner Bekannter, dem ich kürzlich die Wunder der hie und da übrigens recht kleinstädtisch anmutenden Seineweltstadt zeigte, blieb vor einer ganzen Gruppe alter, von der Zeit und vom Ranch geschwärzter Häuser stehen und meinte: „So etwas giebt's bei uns doch gar nicht mehr. Bei uns hat das Haus nur eine kurze Lebensdauer, und ohne Bedenken legt man es nieder, um das neue den modernsten Ansprüchen des verfeinerten gesellschaftlichen Lebens anzupassen. Das hat doch viel für sich, wenn ich auch nicht verkenne, daß der Pariser, der den Gebäuden die Zeit läßt, eine Geschichte zu haben, pietätvoller ist und der Stadt durch die Ueber- lieferuug eine eigenartige Anziehungskraft verleiht." Kurzum, Paris hat noch viele alte Wohnhäuser, und in sie will ich die Leser führen, weil nur in ihnen ein bürgerlicher Haushalt zu finden ist. Sie sind meist aus dauerhaftein Sandstein gebaut, der in den Steinbrüchen der Umgegend billig zu haben ist, und glänzen vorteilhaft durch die Abwesenheit einer vornehm thnenden, aber unechten Ornamentik, die die meisten Berliner Backsteinbauten verunstaltet. Sie sind zwar nicht herrlich anzuschauen, und auch die Architektur ihrer Jnnenräume sucht nicht zu bleudeu, aber wohnlicher als die der deutschen Reichshanptstadt sind sie jedenfalls. Der verfügbare Raum ist zweckmäßiger verwertet. Man legt weniger Gewicht auf die Pruuksüle, aber dafür sind Speise- und vor allem Schlafzimmer, mit Respekt zu sagen, keine Löcher. Die französischen Könige und Königinnen empfingen im Schlafzimmer; vielleicht erklärt sich dessen Pflege aus der Ueberlieferung. Jedenfalls kommt sie der Gesundheit zu gute Man opfert diese Zimmer nicht, um feinen Gästen Sand in die Augen zu streuen, und da, wenigstens in dieser Beziehung, das Wort eFulitb kein leerer Schall ist, so unterscheidet sich die Wohnung des vierten Stockes wenig von der des über dem niedriger: und unschönen Entresol gelegenen ersten, wie denn auch die geldaristokratische Berliner Treppe, die in weißem Marmor mit Bronzegeländer beginnt, um hölzern und ohne Teppich zu enden, in Paris so gut wie unbekannt ist.
In der Möblierung herrscht weniger Stilzwang als beispielsweise in München; Louis XV. und Louis XIV. vertragen sich darin oft vortrefflich mit dem Empire, und die Schlafzimmer zeichnen sich wiederum auch durch ihre behagliche Einrichtung aus — bringt man darin doch fast den dritten Teil seiner Lebenszeit zu! Wohlverstanden spreche ich hier nur von dem Haushalt des besseren Mittelstandes, denn in den Wohnungen reicher Leute, die tont karis empfangen, herrscht eine solche Ueberladung, ein solcher Prunk, daß Max Nordau in seiner berühmten „Entartung" von ihnen behaupten durfte, sie seien zugleich Theaterdekorationen und Rumpelkammern, Trödelbuden und Alufeen, was übrigens keineswegs nur für Paris gilt, sondern eine internationale Geschmacksverirrung ist.
Leider gehören ja auch die Dienstboten zu einem bürgerlichen Haushalt, ohne daß man freilich von ihnen behaupten könnte, daß sie ihn verschönen. Die Klage über sie ist in Frankreich ebenso ständig wie in Deutschland. Die Frage, welches der beiden Länder die schlechtesten Dienstboten und — die beste Küche hat, null ich offen lassen. Der
Leser weiß ja ohnehin, was „französische Küche" ist, und mag daher selbst entscheiden. Beachtung verdient dagegen die Zeiteinteilung, weil sie auf den geselligen Verkehr und feine Bräuche den größten Einfluß ausübt. Berlin hat da von Paris schon manches gelernt, aber lange noch nicht alles Nachahmenswerte. Es ist eben zu schnell Weltstadt geworden, als daß es mit einem Schlage zu einem Gleichmaß der Lebensführung hätte gelangen können, der bei der älteren Weltstadt das Ergebnis einer Jahrhunderte währenden, sich organisch vollziehenden Entwicklung ist. Paris hat allgemein gleiche Stunden für die beiden Hauptmahlzeiten, während nun: in Berlin nie weiß, um welche Stunde man einen Besuch machen kam:, ohue zu stören. Einladungen erfolgen fast immer nur zum Diner, dessen Beginn alle Jahrzehnt hiuausgeschobeu wird, was dann wiederum auf die Theaterstnude zurückwirkt. Mau reinigt sich dazn von: Staube des Tagewerks uud des Bureaus, macht seine Tnfeltoilette, uud der Abend gehört, wem: der Gatte nicht den Cercle — meist eine Spielhölle — oder das Kaffeehaus besucht, der gemeinsamen anregenden Unterhaltung. Der englische üvs o'eloell tea, der ein wenig an den Berliner Nachmittagskaffee erinnert, ist zwar in den vornehmen Pariser Salons längst die Regel, aber im
Die Pariser Zeiteinteilung beweist übrigens, daß die Weisheit des englischen Sprichworts: „Zeit ist Geld" auch an den Ufern der Seine gewürdigt wird. Die Dame des Hauses vergeudet ihre Zeit niemals durch den Empfang von „Autrittsvisiten", sondern sie läßt diejenigen, die ihre Karte bei ihr abgegeben haben, wissen, daß sie an dem und dem Tage empfängt, der, beiläufig bemerkt, nicht jour iixe, sondern kurz jouv oder mon jour genannt wird. Hier wird man den Gastgebern vorgestellt, den Güsten dagegen, oder vielmehr einigen von ihnen, nur auf besonderen Wunsch, was eine Unterhaltung mit den übrigen keineswegs ausschließt. In: Gegenteil plaudert man mit ihnen viel unbefangener, da man nicht verpflichtet ist, sie ans ihren Stand und Berus hin anznreden. An Gesprächsstoffe,: von allgemeinen: Interesse fehlt es in einer Stadt wie Paris ja nie. Von einer großartigen materiellen Bewirtung, von einer „Abfütterung" wie in Berlin, ist nicht die Rede; man ist der Unterhaltung wegen da und kann, wenn es einem beliebt, polnischen Abschied nehmen und, der Abwechslung halber, an demselben Abend noch einen zweiten und dritten Salon anfsuchen, in denen andre geistige Interessen vorherrschen, beispielsweise literarische, künstlerische nnd politische, oder wo der Gesellschaftsklatsch gepflegt wird. Nur in den vornehmen Gesellschaftskreisen hat die materielle Bewirtung unter den: Einfluß des Amerikanismus uud seines Protzen- tums eine Bedeutung gewonnen, die der französischen Ueberlieferung und den: Geist der Causerie durchaus nicht entspricht. Der feinfühlige Franzose liebt nach wie vor die kleinen Diners und haßt die Riesenprunktaiel.
Werfen wir nun einen Blick auf die Kinder, die den Hauptbestandteil des bürgerlichen Haushalts bilden. Die Familie ist bekanntlich nicht groß in Frankreich, wo das sprichwörtliche Zweikindersystem bald durch das Einkindersysten: ersetzt sein wird. Die französischen Ehepaare könnten in dieser Beziehung von ihren guten Freunden, den Russen, viel lernen. Wählen wir als Beispiel einen Haushalt mit einem Sohn und einer Tochter. Beide sind unter den Augen der Mutter ausgewachsen, die sie nach Kräften verzärtelt und unselbständig erhalten hat. Im übrigen aber ist die Erziehung des Knaben nnd des Mädchens sehr ungleichartig. Jener genießt außerhalb seiner Erziehungsanstalt eine verhältnismäßig große Freiheit zur Befriedigung seiner Genußsucht, dieses wird dagegen, wie bei allen romanischen Völkern, streng überwacht. Es ist wahr, daß die letzten Jahre die Sitten gewaltig verändert haben, was in erster Linie wohl der internationalen Frauenbewegung und der vermehrten Pflege des Sports, vor allem dem Fahrrad mit dem weiblichen, wiewohl männlich erscheinenden „ 608 tum 6 e^e1:8t6" zuzuschreiben ist. Früher war das juuge Mädchen eine jener Naiven, die wir aus dein Repertoir Eugen Scribes zur Genüge keimen; es war ätherisch, schlug die Augen nieder und that, als wenn es nicht bis drei zählen könnte; heute giebt es sich, auch in bürgerlichen Kreisen, gern männlich und kokettiert mit einer, gemeiniglich von den: Herrn Bruder erlernten Sprache, deren sich, wie neulich ein Geistlicher erklärte, ein Affe schämen würde. Nun, ganz so schlimm ist es nicht, Gyp und Lavedau übertreiben bei der Zeichnung chrer Roman- und Theatersiguren, aber die Emanzipationslust besteht, das ist eine sittengeschichtliche Thatsache.
Ein Seitenstück zu diesem neuesten Müdchenideal bildet das des jungen Mannes kin de 8ioel6 Die Mutter lernte für ihn, um ihn: die Schularbeit zu ersparen, sie fand alles, was er that, reizend, sie nahm ihn gegen seine Lehrer, oft auch gegen den Vater in Schutz, sie bemuttert ihn auch noch, wenn er groß ist, sucht ihn von der Militärpflicht zu befreien oder ihm diese durch Fürsprachen aller Art zu erleichtern, sie folgt ihm wohl gar in die Garnison, ihren Gatten im Stiche lassend, der sie für ein paar Monate entbehren kann. Und schließlich sucht sie dem Sohn auch die Frau aus, natürlich eine Frau mit reicher Mitgift. Denn im Hinblick auf diese ist er ja erzogen worden. Und zu welchem
Beruf? fragt der Leser vielleicht. Zu einem Berus, der sichere, steigende Einnahmen verspricht, dagegen wenig Arbeit und gar keine Thntkraft erfordert. In der Wiege des französischen bürgerliche:: Haushalts befinden sich in der That meist künftige Beamte; ist doch Frankreich das gelobte Land der Bureankratie.
Bisher war vom Vater nnr flüchtig die Rede, nnd zwar ans dem guten Grunde, weil das sogenannte Familienoberhaupt das fünfte Rad am Wagen ist. Den Tag über weilt er außer dem Hause, in irgend einen: Bureau oder sonst wo in: Geschäft, und wenn er müde heimkehrt, will er nicht den Schulmeister spielen. So ist er denn oft noch schwächer als die Mutter, und bildet er von dieser Regel eine Ausnahme, so führt es entweder zu Familieusceneu, die für die Erziehung der Kinder nicht gerade nützlich sind, oder er giebt, des Kampfes müde, nach, um nicht als Tyrann verschrieen und von: Sohn gefürchtet zu werden. Das neueste Ideal des französischen Familienvaters besteht überhaupt darin, der Freund, der Kamerad des Sohnes zu sein, das heißt, seine Vaterpflichten unerfüllt zu lassen uud damit auch auf seine Vaterrechte zu verzichten. Das unsinnige Schlagwort „Kamerad" ist ja, beiläufig bemerkt, auch bei den: Verhältnis der Frau zu ihrem Mauue jetzt in: Schwung und bedeutet ebenfalls Verzicht der Frau ans ihre natürlichen Rechte, einer Freiheit zuliebe, deren Ausübung sie um allen Zauber holder Weiblichkeit bringt.
Jenes unnatürliche Freundschaftsverhältnis zwischen Vater und Sohn nun hat zur natürlichen Folge, daß letzterer vor ersterem nicht den geringsten Respekt hat, das große Wort bei Tische führt, schlüpfrige Geschichten erzählt und seine Eltern „erzieht", wenn diese nicht auf der Höhe der modernsten Weltanschauung stehen. Das Erzeugnis einer solchen gänzlich verkehrten Erziehung aber ist „der junge Mann", wie nun: ihn in: bürgerlichen Haushalt beobachten kann und in der modernen französischen Litteratur unzähligemal abkonterseit findet: verzärtelt, selbstsüchtig, arbeitsnnlustig, charakterlos, scheu und unentschlossen, wenn er selbständig zu handeln hat, dünkelhaft, spottsüchtig und unfähig, sich für ein Ideal zu begeistern oder an die Tugend zu glauben. Daher auch jener achtungslose uud spöttische Ton im Umgang mit Frauen, der von den: der ehemaligen, sprichwörtlich gewordenen französischen Galanterie unerfreulich absticht und auf das junge Mädchen, das neben einem so gearteten Bruder aufwächst, geradezu wie Gift wirkt.
Zu unfern wildern.
Wohl die rührendste von Shakespeares Fraueugestalteu ist Ophelia, und sie hat D. Eren Lacoste zum Gegen- staud einer wundervollen Skulptur erwählt. Wir seheu zwar mir das Haupt der Unglückseligen und die Haud, die, die zuletzt gepflückte Blume haltend, zugleich das Gewand schämig heraufznziehen sucht — aber es mutet uns an, als sähen wir die ganze Gestalt, als hörten wir die Weise, mit der Ophelia trotz ihres gestörten Sinnes vorahnend sich selber
schaut. Leichenhemd weiß wie Schnee zu sehn,
Das unbethränt zum Grab mußt' gehn
Fröhlicher Humor lächelt uns in Wilhelm Gause's „Kegelklub" — von Herzen wünschen wir der Schönen, die eben die Kugel wirft, alle neun! — uud nicht minder heiter nehmen sich Hugo Kaufs:::auus „Apfeldiebe" aus. Ein paar Aepfel zu stehle:: ist am Ende keine Todsünde, und so sei auch dem Bürschchen oben im Baun: ein ebenso glückliches Entwischen gegönnt wie seinen: flinken Schwesterchen, das geschickt die Zaunlücke zu benutzen weiß.
Wirkungsvoll bringt Frank Kirchbach in seinem „Ganymed" den Schrecken zun: Ausdruck, der den Hirtenknaben erfaßt, als er sich plötzlich von: Adler gepackt und in die Lüfte entführt sieht. Wir aber wissen aus der Mythologie, daß die Aengste nicht lange währten, daß der Hirtenknabe zu hoher Ehre berufen war, und gern nennen wir noch heute jeden freundlichen Mundschenk nach dein Sohne des Tros, der im hohen Olymp den Unsterblichen Ambrosia vorschnitt und dazu Nektar kredenzte.
Zu den besten Schilderen: der jüngsten Weltstadt gehört unter den Malern Julius Jacob, von dem wir heute das Gemälde „Am Schöneberger Ufer in Berlin" wiedergeben. Der Landwehrkanal (so heißt hier die Wasserstraße) dicht besetzt mit Kähnen, an beiden Ufern ein Gedränge von Fußgängern und Wagen, und über allein fauchend der Eisenbahnzug — das ist an dieser Stelle mit voller Natnrtreue das Gepräge des immer mächtiger emporstrebenden, rastlos schaffenden und ringenden, leider nicht immer gemütlichen Neu-Berlin.
In der verführerischen Darstellung schöner Frauen können nur wenige Meister mit Kourad Kiesel Wetteifer::, wie er wieder mit seiner „Elvira" beweist, die wir hier in einen: meisterhaften Holzschnitte vor Augen führen. Ein wenig nachdenklich blickt die Schöne darein, als prüfe sie den, der jetzt ihr naht — aber beneidenswert derjenige, den in: nächsten Moment ein Lächeln voller Huld bestrahlt!