Heft 
(2023) 115
Seite
22
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22 Fontane Blätter 115 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes breit gewordene Fabrikant Blutlaugensalz und Berliner Blau aus der Kö­penickerstraße. Mit einem alten Schwarm für»Berliner Tageblatt« und »Ulk«, die er schnell mit dem»Deutschen Tageblatt« überdeckt, wenn seine konservativen Gäste kommen. Dann fast möchte ich sagen: vor Allem die hamburgische Schwiegertochter, die den englischen Geschäftsfreund ih­res Mannes zu ihren Schwiegereltern einlädt, weil sie zu Hause plätten las­sen muß. Herrlich, diese Hamburgerin mit der Schwärmerei für alles Eng­ lische »das ist so hamburgisch, die kennen alle Engländer, und wenn sie sie nicht kennen, so thun sie wenigstens so« mit der peinlichen Ordnungs­liebe, Sparsamkeit, Wohlgewaschenheit, die in ihres Babys Kleiderschrank die Riegel numerirt und die blonden Haare des Kindes so viel wäscht, daß sie, wie der alte Treibel sagt,»vor lauter Pflege schon halb ins Kakerlakige fallen«! Dann der Professor Schmidt, der für Schliemann und gute Küche be­geistert ist, mit einer gewissen überlegenen Schlauheit und Ironie, oft auch Selbstironie, was er das»Schmidtsche« nennt. Und seine Tochter Corinna, die auch viel, vielleicht mehr noch als der Alte, von diesem Schmidtschen hat, und ganz klar und überlegt nach einem reichen Mann angelt:»Ein Hang nach Wohlleben, der jetzt alle Welt beherrscht, hat mich auch in der Gewalt«. Und schließlich, nicht zu vergessen, die alte Schmolke, des Pro­fessors Wirthschafterin, deren Mann Polizist im delikatesten Theil des gro­ßen Polizeigebiets war ein prachtvolles altes, treues Frauenzimmer. Corinna verzichtet freiwillig auf den jungen Leopold Treibel, der sich als ein Schwachmatikus erweist, und nimmt ihren Vetter, den Gymnasial­Oberlehrer Marcell Wedderkopp, der sich schon früher um sie beworben hat. Mit diesem Marcell, der immer beim alten Schwiegervater in spe die Klagen über Corinnas Leichtfertigkeit vorbringt, habe ich mich nicht be­freunden können. Er ist ja echt, und heroisch möchte ich ihn auch gewiß nicht sehen, aber der Inbegriff der Männlichkeit, den er hier, dem jüngeren Treibel gegenüber, vorstellen soll, ist er nicht. Er schaut viel eher aus wie ein verkörperter Nothbehelf, und das Einzige, was uns über Corinnas Ge­schick forttröstet, ist eigentlich, daß sie mit ihrem Marcell nach Griechen­ land geht, zu den klassischen Stätten und zu Schliemann . Des Buches einzig schwacher Punkt ist der Schlußpunkt. Ich habe mich im Stillen oft gefragt, warum nur dieser Eine, nur Theo­ dor Fontane , den berlinischen Roman zu schreiben weiß. Woran es liegt wo die Gründe stecken. Vielleicht habe ich es gefunden. Da ist zunächst etwas ganz Aeußerliches. Der dreiundsiebzigjährige Fontane hat dieses Berlin werden sehen. Er kannte es noch, als es noch kein elektrisches Licht und keine Wiener Cafés hatte. Er kannte es, als es noch winkeliger und weniger gradlinig erschien. Und so hat er auch den berlini­schen Geist sich entwickeln sehen.