Heft 
(2023) 115
Seite
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Theodor Wolff über Theodor Fontane  Rasch 25 ohne Verhärtung und Bitterkeit. Er war nicht gefeit gegen leichten Schnup­fen der Seele, man weiß, da er seine Menschlichkeit nicht versteckte, daß die Gleichgültigkeit, mit der die preußischen Junker, noch mehr geadelt durch seine Gedichte als durch ihren Stammbaum, an ihm vorbeisahen, ihn ver­stimmte und verdroß, aber er nahm es schließlich doch mit humoristischer Resignation hin, und wie hätten die nicht sehr bildungsbedürftigen Ritter der Saujagd sich bei dem Abkömmling der französischen Hugenotten zu­rechtfinden können, der nicht nur das Blut der Vorfahren, sondern doch auch den Geist der französischen Aufklärung in sich trug und trotz seiner Verherrlichung alten Preußentums respektlos, unbekümmert, in liberaler Unabhängigkeit ihrem Geschmack und ihrem Kastenhochmut widersprach? Seine Abstammung und seine langen Reisen und literarischen Arbeiten in England hatten aus ihm keinen kosmopolitischen Weltbürger gemacht. Auch an nationaler Zwiespältigkeit, wie der aus Frankreich gebürtige Cha­misso, oder wie Schickele , litt er nicht. Aber über die beschränkten Grenzen potsdamerlich gedrillter Mentalität und preußisch gestempelter Kunstspie­ßerei ging er mit erfrischender, heiterer Rücksichtslosigkeit hinweg; der Na­turalismus des jungen Gerhart Hauptmann galt ihm mehr als das schwert­klingende Pathos Ernst von Wildenbruchs. Um die gleiche Zeit schrieb der Fürst Chlodwig Hohenlohe , damals Statthalter von Elsaß-Lothringen , in sein Tagebuch, Hauptmanns»Hannele« sei ein»gräßliches Machwerk[,] so­zialdemokratisch, realistisch, überhaupt scheußlich«, und er habe sich erst nach der Vorstellung»durch Champagner und Kognak wieder in eine menschliche Stimmung versetzt.« So sprach ein Grandseigneur auf den ho­hen Rängen der süddeutschen Aristokratie. Die kleineren Herren auf den Klitschen in der Mark Brandenburg sprachen gar nicht über literarische Angelegenheiten und tranken den Champagner und den Kognak nach den Ergötzungen eines Halbnacktballetts. An meinen ersten Besuch bei Theodor Fontane erinnere ich mich nicht mehr. Wahrscheinlich war die Veranlassung ein Brief gewesen, den er mir geschrieben hatte, als ihm im Dezember 1889, an seinem siebzigsten Ge­burtstag, mein Festartikel zugegangen war. Einige seiner wertvollsten Briefe an mich nach der Veröffentlichung seines Romans»Stine«, zum Bei­spiel, äußerte er sich ausführlich über seine Frauengestalten und über die Art seines Schaffens sind in der nach seinem Tod erschienenen Sammlung abgedruckt. Wenn man einen Brief von ihm empfing, so war es schon eine Freude, seine Handschrift zu sehen, die breit und kräftig, so klar wie sein dichterischer Geist und sein Charakter, über den Bogen lief. Er schrieb mir auch seine Meinung über»Niels Lyhne«, über Realismus und Romantik, und nach der Veröffentlichung meines zweiten Romans,»Der Untergang «, in den ich nie wieder hineingeblickt habe, und von dem ich heute so wenig weiß, als wäre er gar nicht mein Kind, äußerte und begründete er kritische