36 Fontane Blätter 115 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Ihr Roman hat zwei Vorzüge, den großen Fleißes und großer Verve; zudem ist er mit guten und scharfen Beobachtungen, die sich meist in eine geistreiche Form kleiden, reich ausgestattet. Mitunter knüpfen sich an die Beobachtungen auch Sentenzen und Erfahrungssätze, die überraschen. Aber es ⌐ gegen das Frappirende ist nichts dagegen zu sagen, weil jeder sein Bestes aus der Intuition hat. So weit kann ich loben, einverstanden sein. Wenn ich nebenher auch meine Bedenken habe, so hängen diese damit zusammen, daß es Ihnen nicht geglückt ist, ein rechtes Interesse für die beiden Hauptgestalten zu wecken. Gewiß giebt es solche Figuren in unsrer Berliner Gesellschaft und ich will die gute Portraitirung nicht bestreiten, aber beiden fehlt das, was sie uns, trotz Verstrickung in Schuld, sympathisch macht. Besonders gilt dies von der Frau. Solche Dame muß uns entweder durch die Forschheit ihres Thuns erobern oder durch irgend ein Büßerthum versöhnen, Frau Velten thut aber weder das eine noch das andre; sie kehrt um, wenn es zu sterben gilt, und wird nach einem Jahr, vielleicht schon früher, einen neuen Liebhaber haben. Das ist so der Welt Lauf und alles ⌐ lebens richtig, aber die Richtigkeit im Roman verlangt glaub ich(wenn man das Ganze nicht auf Ironie stellt) einen andren Ausgang. Halten Sie mir diese Ausstellungen zu gute. Wie immer Ihr hochachtungsvoll ergebenster/ Th. Fontane . [8] Theodor Fontane an Theodor Wolff, Berlin, 23. November 1894. Berlin 23. Novb. 94. Potsd. Str. 134. c. Hochgeehrter Herr. Ich hatte den 21. nicht vergessen, konnte aber nicht kommen – wie ⌐ ich auch schon am Abend vorher die Daniela Weert 11 versäumen mußte – wegen körperlicher Zustände, die Hausarrest vorschreiben. Wie war es? Oder ist es überhaupt vertagt worden? Ich habe auch Brahm lange nicht gesehn und weiß von nichts, nichts Gutes und nichts Schlimmes. Wenn ich Sie vor Ihrer Abreise nicht mehr sehe, so wünsche ich frohe Fahrt und gute Tage. Wie immer Ihr ergebenster/ Th. Fontane.
Heft  
(2023) 115
Seite
36
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