Bertha Eleanor Trebein(1874–1963) Muhs 55 Jahre erschienenen Besprechungen von Aufführungen verschiedener Werke eines Autors jeweils unter dessen Namen versammelt und diese B löcke dann in der Reihenfolge der Geburtsjahre des betreffenden Dramatikers arrangiert, also beginnend mit Stücken von Sophokles und Shakespeare bis hin zu den seinerzeit jungen Dichtern Johannes Schlaaf und Arno Holz. Trebein bemühte sich dagegen um eine historisch-genetische Nachzeichnung von Fontanes Entwicklung als Theaterkritiker. Ganz abgesehen von der bei Schlenther nicht berücksichtigten Artikelserie über»die Lond oner Theater« aus den 1850er-Jahren erschloss sie auch für die Zeit seiner Tätigkeit bei der Vossischen Zeitung zahlreiche zusätzliche Quellen. Viele der von ihr angeführten und zum Teil ausführlich zitierten Tagebucheinträge, Briefstellen und Zeitungsartikel sind in der weiteren Forschung erst lange später dank größerer Editionsprojekte bekannt geworden. Nicht nur mit ihrem Fokus auf der Herausbildung von Fontanes Begutachtungskriterien war Trebeins Buch also eine genuine Pionierstudie. Dass Conrad Wandrey sie übersehen hat, als er mit Blick auf den hundertsten Geburtstag des Dichters 1919 die erste umfassende Monographie zu Leben und Werk erstellte, ist nicht ihm anzulasten, gehörte doch die Unterbrechung des internationalen Buchhandelsverkehrs zu den unvermeidlichen Kollateralschäden des Ersten Weltkriegs. 32 Sonst hätte er, hinreichende Englischkenntnisse vorausgesetzt, den Theaterkritiken vermutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als vier Seiten gegen Ende seines Werkes. An Klarsicht und Entschiedenheit des Urteils mangelte es ihm auch nicht, wie sein Kommentar zum Stand der Forschung zeigt:»Das weitaus Bedeutendste, was bis auf diesen Tag über Fontane geschrieben worden ist, enthält die Studie von Helene Herrmann über Effi Briest«. 33 Insofern ist es umso bedauerlicher, dass Wandrey kriegsbedingt keine Bewertung von Trebein abgeben konnte. Auch während der Weimarer Zeit scheint Theodor Fontane as a Critic of the Drama von der deutschen Literaturwissenschaft nicht wahrgenommen worden zu sein. Zumindest lässt sich keine Rezension nachweisen. Selbst in den Vereinigten Staaten ist nur eine Besprechung erschienen. Im Journal of English and Germanic Philology würdigte der lange Jahre in Amerika tätige Germanist Otto Ernst Lessing Anfang 1918 Trebeins Arbeit als eine wertvolle Ergänzung und teilweise Korrektur des von Schlenther in seiner Einleitung zu den Causerien entworfenen Bildes. 34 Letzterer habe »Fontanes Neigung zum Realismus allzu einseitig betont«, während sie überzeugend argumentiere, dass der Dichter»den Romantiker in sich nie verleugnete«. Weniger beeindruckt war Lessing von der abschließenden Kontrastierung Fontanes mit seinen Vorgängern Lessing, Schlegel und Tieck. Anstelle von solcherlei kursorischen Bemerkungen erhoffte er sich von Trebein für die Zukunft eine»historisch-vergleichende Darstellung
Heft  
(2023) 115
Seite
55
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