Heft 
(2023) 115
Seite
56
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56 Fontane Blätter 115 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte des Kritikers Fontane« im Kontext seiner Zeitgenossen. 35 Nur so könne sei­ne»tapfere Unabhängigkeit der alten wie der neuen Schule gegenüber« angemessen herausgearbeitet werden. Gleich zu Eingang seiner Rezension hatte Lessing überdies seiner Ver­wunderung Ausdruck gegeben,»dass Theodor Fontane in Amerika so lan­ge unbeachtet geblieben« war, obwohl er doch»in W. D. Howells einen na­hen Verwandten« habe. Ihrer Ähnlichkeit ist dann erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg weiter nachgegangen worden, zuerst von den US-Ger­manisten Werner Hoffmeister 36 und Sylvia Haas Keady, 37 später auch von Patricia Howe 38 und Richard Ellington, der mit einer Reihe von Vorträgen eine Brücke vom Fontanekreis Großbritannien und Irland zur William Dean Howells Society in Amerika geschlagen hat. 39 Lessings melancholische Abschlussbemerkung, dass Trebeins Buch »ausser dem wissenschaftlichen noch den sentimentalen Wert eines letzten Zeugnisses aus den verklungenen Tagen friedlichen Austausches der Geis­ter« besitze, signalisiert den fundamentalen Einschnitt, den der Erste Welt­krieg für die amerikanische Germanistik bedeuten sollte. Seit der Versen­kung des Passagierdampfers»Lusitania« durch ein deutsches U-Boot im Mai 1915 hatten sich öffentliche Meinung und Politik immer schärfer gegen das Kaiserreich gewendet, bevor Amerika nach dem Kriegseintritt der Vereinig­ten Staaten zwei Jahre später von einer beispiellosen Welle von Chauvinis­mus überrollt wurde. 40 Nicht nur geriet die deutschstämmige Bevölkerung pauschal in den Verdacht der Illoyalität, sondern jedwede Beschäftigung mit deutscher Sprache und Kultur galt zunehmend als unpatriotisch. 41 Bis Kriegsende hatten 38 Bundesstaaten ein gesetzliches Verbot von Deutschun­terricht an öffentlichen Schulen eingeführt, was erst 1923 vom Supreme Court für verfassungswidrig erklärt wurde. 42 Die akademische Germanistik konnte von diesem Klima nicht unberührt bleiben. Ein Nachruf auf Tre­beins akademischen Betreuer William Addison Hervey, zu dessen vorzeiti­gem Tod im Alter von nur 48 Jahren nicht zuletzt die seelische Belastung durch das feindselige Klima beigetragen haben soll, beklagte ergreifend »the intolerant spirit that expected the American teacher of German to ab­jure the results of scientific study or throw overboard all the things he owed to German scholarship«. 43 Auch auf Bertha Trebeins ehemalige Ausbildungs- und ihre jetzige Wir­kungsstätte schlug der kriegsbedingte Stimmungsumschwung durch. Das German Department von Wellesley war dank Wenckebach und Müller über die Jahre zu einem der populärsten im College geworden, doch während 1916/17 noch 160 von 449 Studienanfängerinnen Kurse in Deutsch belegt hatten, waren es 1919/20 ganze 15 von 321. 44 Eine derart dramatisch gesun­kene Nachfrage konnte nicht ohne Auswirkungen auf die finanzielle und personelle Ausstattung des Faches bleiben. In Anbetracht dessen ließ sich Margarethe Müller 1921 beurlauben, um nach Deutschland zurückzukeh-