Bertha Eleanor Trebein(1874–1963) Muhs 57 ren. 45 1923 mit einer kleinen Pension endgültig verabschiedet, scheinen materielle Sorgen sie im Alter empfänglich für die Verlockungen des Nationalsozialismus gemacht zu haben. So suggeriert es zumindest ihr Grabmal auf dem Friedhof der Münchner Erlöserkirche. Es zeigt eine reifere Frau in klassischer Gewandung, die einer jüngeren mit einem Buch in der Hand den Weg weist. Die zeitgeistig inspirierte Inschrift lautet:»Non ministrari, sed ministrare. Gedenkstein für die deutschen Fuehrerinnen amerikanischer Jugend in Wellesley College, Mass. Carla Wenkebach gest. in Wellesley 1902. Elizabeth Mueller-Strauss gest. in Hamburg 1916. Hier ruht in geliebter deutscher Erde Margarethe Mueller, Prof. Emer.* in Hannover 25. 9. 1862 † in München 5.1.1934.« 46 Helene Herrmann sollten die politischen Veränderungen, von denen sich Margarete Müller offenbar viel versprochen hatte, deren Folgen sie aber nicht mehr erleben musste, zum Verhängnis werden. 1938 aus dem Schuldienst verdrängt, wurde sie 1942 in das Ghetto Theresienstadt und von dort 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Verglichen damit war Bertha Trebeins Schicksal harmlos. Ob sie ihre Stelle an Agnes Scott angesichts der herrschenden Umstände von sich aus aufgegeben hat oder auf äußeren Druck hin gehen musste, ist nicht mehr zu klären. Jedenfalls brach ihre akademische Karriere 1918 abrupt ab. Auf die traditionelle Frauenrolle zurückgeworfen, kehrte sie nach Ohio zurück und widmete sich der Pflege ihrer alten Mutter. Nach deren Tod 1922 und dem Tod ihrer älteren Schwester zwei Jahre später heiratete die inzwischen 52-Jährige 1926 ihren verwitweten Schwager, den 65 Jahre alten Schuhfabrikanten Patrick Henry Flynn, der sie bei seinem eigenen Ableben 1934 wohlversorgt zurückließ. An ihre akademische Vergangenheit erinnerte nur noch die Mitgliedschaft in der»American Association of University Women« und die Tatsache, dass sie zwanzig Jahre den Vorsitz der»Greene County District Library Association« innehatte. Wellesley College fühlte sich Bertha Trebein lebenslang verbunden, vermittelte ihre jungen Nichten zum Studium dorthin und spendete in späteren Jahren auch wiederholt größere Geldbeträge an ihre Alma Mater. Deutschland hat sie nur noch einmal wiedergesehen, auf einer mehrmonatigen Europareise zum Zwecke von»education and pleasure«, die sie im Sommer 1924 von Frankreich über Italien, Österreich und die Schweiz den Rhein hinab führte und weiter nach Holland, Belgien, England und Schottland. 47 Die eben erst begonnene Beschäftigung mit Fontane in den Vereinigten Staaten sollte mit dem Ersten Weltkrieg auf längere Zeit fast vollständig zum Erliegen kommen. In den»Columbia University Germanic Studies« konnte 1922 noch eine Dissertation über Walter Scotts Einfluss auf den Dichter erscheinen. Dankbar vermerkte der 1890 geborene Verfasser Lambert Shears in seinem Vorwort»the inestimable assistance rendered by Miss Bertha E. Trebein«. Sie habe ihm alle ihre Auszüge aus Fontanes unveröffentlichten Tagebüchern und Briefen zugänglich gemacht und auch
Heft  
(2023) 115
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57
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