58 Fontane Blätter 115 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte sonst»most generously given me the benefit of her exhaustive research«. 48 Ein 1924 publizierter, sehr kompetenter Überblick des gesamten Romanwerks aus der Feder von Harvey W. Hewett-Thayer 49 , der 1911 schon eine kommentierte Schulausgabe von Grete Minde herausgebracht hatte, blieb dann für nahezu ein Jahrzehnt die letzte einschlägige Veröffentlichung aus Amerika. 50 Bis 1933 sollte es dauern, bevor mit Arthur L. Davis ein jüngerer Wissenschaftler in Erscheinung trat, an dessen Aufsätze über die politische Orientierung des jungen Fontane Charlotte Jolles mit ihrer Berliner Dissertation anknüpfen konnte, bevor sie ihre akademische Laufbahn aus politischen Gründen ab- bzw. auf Jahrzehnte unterbrechen musste. Bemerkenswert ist aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, von drei kleineren Beiträgen abgesehen, 51 noch eine Studie von Rosemary Park(1907–2004) aus dem Jahre 1939 über Fontanes»unheroic heroes«. 52 Eine anhaltende Wiederbelebung des Interesses an Fontane erfolgte aber erst mit dem Aufschwung der amerikanischen Germanistik nach 1945, nicht zuletzt dank der Vermittlung von Emigranten aus Nazideutschland, namentlich Henry H. H. Remak. Was Fontanes Theaterkritiken angeht, so war mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen, bevor sie wieder eine umfassende Behandlung erfuhren. Gleich in der ersten Fußnote seiner 1942 publizierten Dissertation charakterisiert Rüdiger Knudsen Trebeins Arbeit als»eine theoretischliterarische Untersuchung, die – trotz wertvoller Einzelerkenntnisse – gerade die kritisch-publizistische Bedeutung der Theaterkritik ganz unberücksichtigt läßt. Wichtiges Material blieb außerdem unbenutzt. Hinzu kommt, daß der Zeitpunkt dieser Arbeit(1916) an sich schon eine neue Betrachtungsweise notwendig erscheinen läßt.« 53 Letzteres war zweifellos richtig, während die pauschale Abfertigung ansonsten etwas ungerecht erscheint. Vom Ansatz her waren beide Studien allerdings in der Tat sehr verschieden. Ging es Trebein in erster Linie darum, die Bedeutung der Theaterkritik für die Entwicklung von Fontanes dichterischem Selbstverständnis herauszuarbeiten, interessierte sich der Zeitungswissenschaftler Knudsen hauptsächlich für ihren Beitrag zur Formung der öffentlichen Meinung. Dass er Trebeins Studie, abgesehen von dem knappen Verweis zu Beginn, weiter keine Beachtung geschenkt hat, mag auf begrenzte Englischkenntnisse zurückzuführen sein. Es könnte aber auch eine Distanzierung von nichtdeutscher Forschung signalisieren, wie sie in der nationalsozialistischen Germanistik gang und gäbe war. Was den Wert von Knudsens Buch aber vor allem schmälert, obwohl es sich um eine ansonsten gründliche und in vieler Hinsicht aufschlussreiche Arbeit handelt, ist der durchgängige, über ein bloßes Lippenbekenntnis weit hinausgehende Antisemitismus. Nicht nur werden jüdische Autoren und solche, die Knudsen dafür hält, durchgehend mit dem Zusatz»(Jd.)« gekennzeichnet. Er glaubt auch, ihre Positionen ungeachtet aller Unterschiede auf das kollektive Rassemerkmal einer»individualistisch-zersetzenden Methode« zurückführen zu können,
Heft  
(2023) 115
Seite
58
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