Heft 
(2023) 115
Seite
86
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86 Fontane Blätter 115 Dossier: Fontanes Fragmente. Fortsetzung ­darüber hinaus auch Ansatzpunkte für eine Neuinterpretation eben dieser Aspekte in den veröffentlichten Werken, also jener Romane, in die Fontane Versatzstücke aus den Entwürfen übernommen hat. Vorab ist in diesem Zusammenhang auf den Sonderstatus der Gattung Fragment im Allgemeinen und bei Fontane im Besonderen hinzuweisen: Nachgelassene unveröffentlichte oder auch gar nicht erst für eine Veröf­fentlichung vorgesehene Dokumente aller Art darunter fragmentarische Ideen- und Figurenskizzen, Baupläne und Entwürfe jedweden Umfangs zeichnen sich dadurch aus, dass sie explizite metanarrative Kommentare des Autors zur Konzeption des geplanten Werks oder zu den verwendeten Materialen(Lektüren/Intertexte) beinhalten können. Derlei Anmerkungen des empirischen Autors in den Quellen haben nicht selten den Charakter von erklärenden Selbstdeutungen; sie liefern wertvollste Hinweise für das Verständnis und die Interpretation von unveröffentlichten Werken, aber sie werden in den allermeisten Fällen später nicht mehr Bestandteil der erzähl­ten(fiktionalen) Welt, allein schon aus dem Grunde, dass sich die meisten Autor:innen ungern in die Karten schauen lassen. Dies gilt erst recht für Fontane beziehungsweise für das Verhältnis zwischen seinen veröffentlich­ten und unveröffentlichten Werken. Christine Hehle verweist auf die spezi­fische»Thesenhaftigkeit«, durch welche sich Fontanes Fragmente auszeich­nen(F II, 212). Eine solche Thesenhaftigkeit wird man in den veröffentlichten Werken nirgends finden. Hier bleibt Fontane als Autor, bleibt sein Pro­gramm, seine These, seine Idee, wie auch der Erzähler, hinter den Kulissen des Geschehens; oder, besser gesagt, ist die veröffentlichte fiktionale Ge­schichte am Ende stets als Umsetzung jener Thesen und Ideen, als Durch­und Ausführung jener Thesen und Ideen zu betrachten. Explizite Erklärun­gen, Kommentare, Referenzen, die in den Fragmenten teils noch genannt werden, sind in den fiktionalen Werken getilgt. In den unveröffentlichten Werken dagegen kommen metanarrative und generische Ausdrücke und Abstrakta, das heißt ein explizites Referenzieren, Kommentieren und Deu­ten der zu erzählenden Welt, häufiger vor; dies legt auch die Untersuchung von Henny Sluyter-Gäthje, Daniil Skorinkin und Peer Trilcke in diesem Band nahe. 3 Kurz: Wenn Fontane in den Fragmenten Schopenhauer, Kant, Wiesike oder Plaue(Wiesikes Wohnort) und den Prediger Windel erwähnt, dann handelt es sich demnach keineswegs um Nebensächlichkeiten, son­dern um ernst zu nehmende, deutungsrelevante Informationen des Autors zu dem von ihm avisierten, im Hintergrund ›aktiven‹ philosophischen Pro­gramm der unveröffentlichten Werke, deren Themen, Plots und Figuren.