Heft 
(2023) 115
Seite
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Allerlei Glück Wege 95 Als Serenissismus orthodox wurde, ist er zurückgetreten.«(F I, 107) Diesen Charakterisierungen nach zu urteilen kennen sich die Prediger-Figuren, wie gewiss auch ihr Vorbild Windel, mit Schopenhauers willensphilosophischer Deutung des Christentums und des Katholizismus sehr gut aus. 32 Was genau dahinter steckt und wie das zu verstehen ist, wird im Folgen­den näher erläutert. Im Zuge dessen wird indirekt auch nochmal der Pessi­mismus relevant, der auch für die Konzeption der Glücksthematik eine Rol­le spielt. Zwar empfiehlt Schopenhauer den Katholizismus weder in den Aphorismen noch im Hauptwerk direkt als ›Glücksweg‹, allerdings spricht er ihm im Hauptwerk mehrfach und eindeutig einen Beitrag zur Milderung willensbedingter Leiden und somit eben doch indirekt eine glückssteigern­de Wirkung zu genau wie auch die Figuren in Fontanes Fragment es tun. Nun zu den Grundzügen von Schopenhauers Religionsauffassung, die Fon­tane via Windel wahrscheinlich vertraut war. Das Leben besteht nach der zutiefst pessimistischen Ansicht Schopen­hauers aus»Leiden und Quaalen aller Art«, ohne Hoffnung auf Erlösung. 33 Am Ende erwartet den Menschen das»Nichts«, 34 während der metaphysi­sche Wille unveränderlich bleibt und sich über die Generationen hinweg stetig erneuert. Das Leiden des Menschen ist bedingt durch den Willen selbst, jene metaphysische Triebkraft, die hinter allen Erscheinungen des Lebens in der Natur, in Körper, Charakter und vor allem auch in(sexuellen) Leidenschaften und Gefühlen steckt. Hinter dem, was das Christentum Sünde nennt, verbirgt sich nach Ansicht Schopenhauers nichts anderes als eben dieser Wille:»Demnach ist eigentlich unsere einzige wahre Sünde die Erbsünde.[] Der innerste Kern und Geist des Christenthums ist mit dem des Brahmanismus und Buddhismus der selbe: sämmtlich lehren sie eine schwere Verschuldung des Menschengeschlechts durch sein Daseyn selbst«. 35 Das Christentum schätzt Schopenhauer vor allem als Religion der asketischen Verneinung des Willens, der Entsagung vom Willen: Bei weiter gebildetem Christenthum sehen wir nun jenen asketischen Keim sich zur vollen Blüthe entfalten, in den Schriften der Christlichen Heiligen und Mystiker. Diese predigen neben der reinsten Liebe auch völlige Resignation, freiwillige gänzliche Armuth, wahre Gelassenheit, vollkommene Gleichgültigkeit gegen alle weltliche[sic] Dinge, Abster­ben dem eigenen Willen«. 36 Am Alten Testament lässt Schopenhauer nahezu ausschließlich die Sünden­erzählungen als Bestätigung seiner These von der unvermeidlichen Wil­lensbejahung gelten. Das Neue Testament und Jesus predigen seiner An­sicht nach eine ähnliche pessimistische Weltsicht und zudem die Verneinung des Willens als»Weg der Erlösung« vom(willensbedingten) Leiden am ir­dischen Leben. 37 »Man denke ja nur nicht, daß die christliche Glaubenslehre dem Optimismus günstig sei; da im Gegenteil in den Evangelien Welt und Uebel beinahe als synonyme Ausdrücke gebraucht werden.« 38 Der Katholi-