Heft 
(2023) 115
Seite
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Entzweite Moderne, durchschaute Ambivalenz  Rottmann 113 ten Verhältniß. Dadurch, daß man es sie in den beßren Familien nicht fühlen ließ, wurd es nicht besser.­«(F I, 423) ›Storch‹ und ›Störchin‹ kommen, insgesamt besehen, zu unterschiedlichen Urteilen über»die Zeit«. Diese»Zeit« bereitet der alteingesessenen Familie v. a. ökonomische und gesellschaftliche Schwierigkeiten(»Geldnoth«(F I, 184) und überhaupt»immer in Sorge um[]«(F I, 196)) 19 , sodass es beiden darum zu tun ist, Pläne zu schmieden, die»aus den Verlegenheiten« heraus­helfen(Heiratspläne, Verpachtungen) und die Katastrophe des Untergangs abwehren sollen(F I, 179). Die Symptome, nicht aber Pläne zur Bewältigung der Katastrophe, sind ökonomischer Art:»Die Ausgaben wachsen, die Ein­nahmen mindern sich, der Bankrutt ist vor der Thür.«(F I, 202) Adolar Storch von Adebar soll die Überzeugung aussprechen, dass»die Zeit(etwa 1862) eine andre geworden sei; ganz andre Strömung herrscht«(F I, 180), ohne diese Wahrnehmung im Detail auszuführen. Währenddessen glaubt die ›Störchin‹ fest an die Resilienz ihres Standes:»Noch zwei Jahr und es ist wies immer war, weil es so sein muß: Orthodoxie, Adel, Armee. Die habens gemacht und tragen es. Was von den Jesuiten gesagt ist: sin tut sunt, aut non sint , gilt auch von Preußen.«(F I, 180) Das»Ziel ihres Lebens« besteht über­haupt darin,»bei Hofe[zu] sein und im| christlichen germanischen Hofe­dienst auf[zu]gehen[].«(F I, 201) In ihrem»Vorwärtskommen«-Wollen(F I, 203) klammert sich die ›Störchin‹ an die ›alte Ordnung‹, über deren»Um­schlag«, wie Fontane in Adel und Judenthum festgehalten hat, allerdings längst entschieden war:»der Adel wurde arm, der Bürgerstand wurde reich. Am reichsten die Juden.«(F I, 422) Alle Anzeichen sind Indikatoren eines grundlegenden»wirtschaftliche[n] Umschlag[s]«(F I, 422) und einer emi­nenten sozialen Entwicklung, die Fontane fortlaufend beobachtet und kom­mentiert hat. Die Storchs entsprechen soziologisch dem, was Fontane in Adel und Ju­denthum das»Historische« nennt, denn sie repräsentieren eine Struktur, in der»[d]er Adel[] die Gesellschaft[war].«(F I, 422) 20 ›Storch‹ und ›Störchin‹ haben, so scheint die Novelle angelegt, kein reflektiertes Verhältnis zu die­ser, sich rasant verändernden Welt erwerben können. Ein(auf)geklärtes Verhältnis zur Gegenwart und zum Aufstieg neuer Funktionseliten haben stattdessen typische Repräsentanten des Bürgertums, also:»Der Justizrath oder Rechtsanwalt«. Dieser weiß und spricht aus, dass Adel und namentlich der Klein=Adel[] keine Ahnung davon[hat], daß seit etwa 100 Jahren etwas in der Welt herangereift ist, was man den Gentleman, nennt und was zwischen allen denen die diesen Namen führen eine Gleichheit schafft, eine Gleichheit die in auf gleichartiger Bildung(Wissen) und Gesinnung gesellschaftlicher­ Form beruht und demselben Anstands und Ehrengesetz gehorcht.(F I, 213) ›Storch‹ und ›Störchin‹ tun derweil und reden so, als ob die Insignien ihrer Existenz(»Geld u. Gut, Ruhm und Ehre, Ansehn vor den Leuten, Macht,