Heft 
(2023) 116
Seite
19
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Fontanes Briefe an Paul Linsemann  Möller 19 Unter der Überschrift Fontanes Briefe wurde im Feuilletonteil des Berliner Tageblatts vom 6. Oktober 1898 folgender Leserbrief des Schriftstellers und Journalisten Paul Linsemann veröffentlicht: Sehr geehrter Herr Kollege! Ich möchte Sie bitten, einem Wunsche Raum zu geben, von dem ich ge­wiß bin, daß ihn Viele theilen werden. Ich erwarte zuversichtlich, daß binnen Jahr und Tag auf unserem Büchertisch ein stattlicher Band lie­gen wird, der den Titel trägt: » Fontanes Briefe.« Das müßte ein ganz köstliches Buch werden, und darum möchte ich an dieser Stelle die Anregung dazu geben. Fontanesche Briefe muß es wohl an tausend oder mehr geben. Man weiß, daß der Poet auf jede Aufmerksamkeit mit ein paar entzückend liebenswürdigen und verbindlichen Zeilen antwortet, wie nur e r sie schreiben konnte. Ein jeder solcher Zettel birgt einen Porträtzug des Alten. Fontanescher Stil ist darin, unverkennbar in seiner prachtvollen Eigenart, von einer feinen konzisen Grazie. Der Empfänger durfte ge­rührt und geehrt diese Zeilen lesen, in denen ein selbstbewußter Mann artigen Dank aussprach, ohne die Grimasse der heuchlerischen Demuth zu schneiden. Aber all die zerstreuten, in alle Welt gesandten Briefe ha­ben mehr als persönlichen und Augenblickswerth: sie verflattern nicht, denn allen hängt ein kleines Bleiplömbchen an: eine witzige oder geist­reiche Bemerkung, ein signifikantes Urtheil über eine Person oder ein Kunstwerk. Das Buch»Fontanes Briefe« würde also eine wundervolle Ergänzung zu seinen beiden autobiographischen Büchern sein: es würde ein neues Selbstporträt und ein Zeitspiegel zugleich sein. Diesem Buch der Be­kenntnisse ich möchte das an dieser Stelle gleich anfügen müßte dann ein zweites folgen, das die werthvollen T h e a t e r k r i t i k e n Fontanes enthielte. Wahrlich, zwei Bände gäbe das, die in der ersten Reihe seiner Werke stehen würden. Nicht wichtig thuerische Zetteljagd ist es, der ich hier das Wort rede. Der Alte selbst, der bekanntlich ein Freund von»Autobiographien, Chroni­ken, alten Kalendern und Briefwechseln« war, würde der Erste gewesen sein, der in einem anderen Fall seinen Beifall gegeben hätte. Und ich meine, man sollte das Werk bald in die Hand nehmen, ehe Jahre darüber vergehen, und die Briefe nicht mehr im Besitze der Adressaten sind, die den Herausgebern des Briefbuches nöthige und oft wichtige Aufschlüsse über die in den Episteln behandelten Materien geben kön-