Heft 
(2023) 116
Seite
49
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Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel  Anke 49 hungskontext und brisante Thematik geradezu dazu einladen. Nachdem die Übersetzung nun in ihrer Gesamtheit präzise analysiert wurde, 5 will der folgende Beitrag Inhalt und Form der Souvenirs dun prisonnier de guerre allemand beleuchten und dabei insbesondere auf historische, rezeptionsäs­thetische und übersetzungstheoretische Aspekte eingehen. Wie Kriegsgefangen selbst wurde auch die französische Übersetzung doppelt publiziert: Als erste Auszüge im Dezember 1891 und Februar 1892 in der französischen Kulturzeitschrift Revue Bleue abgedruckt worden wa­ren, erschien die vollständige Übersetzung 1892 im Pariser Verlag Perrin. Im Gegensatz zu dem im Feuilleton der Vossischen Zeitung abgedruckten Originaltext erschien die Übersetzung in der Revue Bleue nur auszugsweise und zielte auf keine»dramatische Entwicklung« ab, wie ­Fontane sie sich 1870 durch»rasch hintereinander« 6 veröffentlichte Kapitel zu erzeugen ge­wünscht hatte. Vielmehr standen bei der Erstveröffentlichung in Frankreich Fontanes Darstellungen der Franzosen im Mittelpunkt: Es handelte sich da­bei um das Kapitel 5(»Die Zitadelle von Besançon«) und 6(»Rückblicke«) des ersten Teils, in denen er seine Mitgefangenen porträtiert(5) und seine posi­tive Einschätzung der Franzosen rückblickend bestätigt(6). Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass gerade die Übersetzung des fünften Kapitels, in dem Fontane die harten Lebensbedingungen seines Gefängnisalltages in Besançon beschreibt, erhebliche Auslassungen aufweist. Doch nicht nur die Schilderung dieser Missstände wurde stark gekürzt; auch die Porträts zwei­er deutscher Mitgefangener von insgesamt sechs Gefangenenporträts sind der Zensur zum Opfer gefallen. Die Figur des Deutsch-Franzosen ist in der Übersetzung nicht mehr»der dritte« Mitgefangene,»mit dem ­[Fontane] in Beziehung trat«, sondern»einer der ersten«. 7 Die Revue Bleue ließ außerdem beide Kapitel zu einem zusammenhängenden Text verschmelzen, ohne dies zu signalisieren. Durch dieses Collage-Verfahren entstand ein von heiklen Stellen weitgehend bereinigter, zu einem schmeichelhaften Selbstbildnis der Franzosen und Frankreichs geglätteter Text. Insofern diente Kriegsge­fangen in der Übersetzung nicht zuletzt dem Nationalbewusstsein und traf den Erwartungshorizont des französischen Publikums. Sowohl der Erstveröffentlichung in der Revue Bleue als auch der gebun­denen Ausgabe war eine umfangreiche Einleitung des Literaturkritikers Téodor de Wyzéwa vorangestellt 8 . Text und Paratext wuchsen in der fran­ zösischen Fassung zu einem einzigen Textkörper zusammen. Dabei entfal­tete Wyzéwas Vorwort eine umso größere Wirkmacht, als es ein Roman­werk präsentierte, welches dem französischen Leser durch den Mangel an Übersetzungen noch unzugänglich war. Da Wyzéwa bis 1910 Fontanes ein­ziger Kritiker blieb, kann angenommen werden, dass er den Autor nicht nur im zeitgenössischen Frankreich bekannt machte, sondern sein Bild auch nachhaltig und nicht unbedingt im positiven Sinn prägte. Fontanes erster Übersetzer Jean Thorel hingegen wurde von der Person des einflussreichen