Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel Anke 55 resümierende Prosazeilen paraphrasiert werden. Dies gilt auch für andere, kürzere Verspassagen in Kriegsgefangen. In anderen Fällen hingegen bleibt Thorel der Syntax treu, entfernt sich aber durch eine konventionellere Wortwahl von Spezifität und Kolorit des Ausgangstextes. Ein Abschnitt aus dem ersten Kapitel(»Domrémy «) des ersten Teiles soll hier als Beispiel dienen. Auf der Fahrt nach Vaucouleurs beschreibt Fontane die französische Landschaft folgendermaßen: Bis Vaucouleurs sind drei Meilen. Von rechts her traten mächtige Weingelände, in der Mitte des Abhangs mit helleuchtenden Dörfern geschmückt, bis an die Straße heran; nach links hin dehnten sich Fruchtfelder, dahinter Bergzüge, oft in blauer Ferne verschwimmend.(F 8) De Toul à Vaucouleurs il y a trois lieues allemandes. Sur la droite de notrechemin, au flanc des collines, s’étalaient de nombreux vignobles, au milieu desquels s’élèvent de jolis villages; à notre gauche on pouvait voir des vergers, par-delà lesquels s’imprécisait à l’horizon la ligne de faîte des montagnes.(T 5) Die ästhetisierende Darstellung lässt Farben und Formen in diesem buchstäblich malerischen, impressionistisch anmutenden Aquarellbild nahezu ineinander verschwimmen. Die Illusion einer sich bewegenden Natur entsteht durch Fontanes Blick aus dem fahrenden Wagen hinaus, womit ihm eine besonders realistische Schilderung der Bewegung aus der Perspektive des wahrnehmenden Subjekts gelingt. Dabei rückt das zum Subjekt gewandelte Landschaftspanorama in den Vordergrund, während sich das erzählende Ich diskret zurückhält. Im Gegensatz dazu rückt die Übersetzung Thorels die Natur als regloses Kulissenbild in den Hintergrund des Erzählpanoramas, wo sie allmählich zum passiven Wahrnehmungsobjekt erstarrt: Die Weinberge treten nicht an die Straßen heran, sondern erstrecken sich zur rechten Seite(»sur la droite[...] s’étalaient«), die Fruchtfelder dehnen sich nicht nach links hin, sondern bieten sich dem Blick an(»auf der linken Seite waren Fruchtfelder zu sehen«). Die Weinberge verlieren an Imposanz, da sie nicht als»mächtig«, sondern als»zahlreich«(»nombreux«) erscheinen; und die nicht mehr»helleuchtenden«, sondern nunmehr»hübschen« (»jolis«) Dörfer büßen an Strahlkraft ein. Außerdem schmücken sie den Abhang nicht mehr, sondern»erheben«(»s’élèvent«) sich in seiner Mitte. Das kunstvoll ausgeschmückte Landschaftsbild, das Fontane mithilfe seiner Palette an Adjektiven durch große,»mächtige« Pinselstriche sowie durch kleinere,»helleuchtende« Farbtupfen anfertigt, verliert durch das gewählte, viel banalere Wortspektrum an Leuchtkraft und Kontur. Zwar ist die Übersetzung inhaltstreu, doch schwächt die Normalisierung semantischer Nuancen das Gesamtbild ab. Auf der Fahrt nach Lyon (»Von Besançon nach Lyon «) kann Fontane an der Landschaft anfangs»nichts Besonderes« beobachten,»nur wo[er] Flüsse zu passieren hatte, zeigten sich Bilder von eigentümlichem Reiz«(F 82):»La contrée ne présente d’abord rien de particulier;
Heft
(2023) 116
Seite
55
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten