Heft 
(2023) 116
Seite
57
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Kriegsgefangen in der Übersetzung von Jean Thorel  Anke 57 1870 beherrscht. Auch Fontanes Kriegsgefangen wirft ein vielsagendes Licht auf jene kulturellen Konfliktlinien, die sich allerdings erst im Spiegel der Übersetzung offenbaren. Eine Untersuchung von Thorels Übersetzung drängt sich nicht nur wegen der polarisierenden Thematik des Bandes auf, sondern auch, weil Fontane gerade in Kriegsgefangen auf die Überwindung kultureller Stereotypen und ideologischer Grenzen zielt. Anhand sprachli­cher, geografischer und kultureller Aspekte soll nun untersucht werden, wie und ob Thorel die Alterität des Ausgangstextes berücksichtigt und in welchem Verhältnis das Eigene zum Fremden steht. Auf sprachlicher Ebene steht Thorel vor derselben Herausforderung wie alle anderen französischen Übersetzer Fontanes nach ihm. Wie lassen sich die französischen, d. h. fremden Spracheinflüsse in einer französischen Übersetzung hervorheben? Im Falle von Kriegsgefangen scheint dies keine Hürde zu sein, ja die französischen Wörter kommen dem Übersetzer wo­möglich sogar gelegen: Was zuvor noch als fremdsprachlicher Einfluss her­vorsticht, wird unvermeidlich und ohne weitere Kennzeichnung ins Franzö­sische eingeschmolzen, womit»volens nolens die Grenzen einer homogenen Sprachgemeinschaft konsolidiert« 21 werden. Der allgemeine Umgang mit dem Fremdwort kann anhand einer Textstelle im Kapitel»Guéret « sogar me­taphorisch aufgezeigt werden. Im dortigen Gefängnis sorgen Fontanes Pa­piere bei der französischen Administration für»völlige Verwirrung«. Zur Veranschaulichung greift Fontane auf seine vergangene Apothekererfah­rung zurück: Die ganze Szene erinnerte mich lebhaft an die Vorgänge, die sich in klei­nen Badeörtern mit Filialapotheken regelmäßig zu wiederholen pflegen, wenn Lehrling, Gehilfe, Prinzipal das aus der großen Stadt kommende Rezept nicht entziffern, das neueste Modemittel nicht erraten können und nach langem Getuschel und Aufwand einiger Fremdwörter endlich erklären: ein solcher Arzneikörper existiere nicht.(F 105 ) Von den»Fremdwörtern« bleibt in der Übersetzung keine Spur solche Fremdkörper, so scheint es, existieren gar nicht: Après avoir longuement et mystérieusement conféré pour tâcher de sexpliquer quel peut bien être ce nouveau remède à la mode quon leur demande, ils finissent par déclarer que ce médicament nexiste pas.(T 116) Das»lange Getuschel« verteilt Thorel auf die beiden Adverbien»longue­ment« und»mystérieusement«, wodurch das tuschelnde Apothekenperso­nal nicht mehr auf Fremdwörter rekurriert, sondern sich»lange« und auf »geheimnisvolle« Weise untereinander berät. Erneut hat die Szene im Spie­gel ihrer Übersetzung nahezu metasprachlichen Charakter: Ist es mit dem mysteriösen Fremdwort zu viel des Aufwands und der Geheimniskräme­rei? An Gelegenheiten, die Mehrsprachigkeit an anderen Textstellen kom­pensierend wiederherzustellen, fehlt es eigentlich nicht. Spezifisch deut­sche Begriffe stellt Thorel aber meist nicht in ihrer fremdsprachlichen