Heft 
(2023) 116
Seite
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130 Fontane Blätter 116 Freie Formen Verehrer Fontanes und der Mark. Als mein Direktor Hans Mayer und ich einmal bei ihm zum Essen eingeladen waren, sah ich an einer Wand die Kartenblätter der Landkarte Brandenburgs, die Teile sorgfältig zu einer großen Tafel zusammengefügt, so dass er die Wege und Dörfer und Wälder und Seen im Detail studieren konnte. Ich hatte von Reuters Biographie gehört, kannte sie aber noch nicht und war ein wenig erstaunt darüber, dass ein Germanist den Fontane-Preis er­halten sollte und nicht ein Autor. Doch es gab keine Schwierigkeiten, die Entscheidung wurde allenthalben akzeptiert und Reuter reiste an. Er kam zur Mitgliederversammlung, so dass er auch am abendlichen Empfang teil­nehmen konnte. An eine feierliche Übergabe des Preises kann ich mich nicht erinnern. Ich empfing den Preisträger schon am Nachmittag. Er war nicht nur freundlich, er war herzlich. Wir verstanden uns rasch. Natürlich war er nach jahrelanger Arbeit in seinem Kämmerlein glücklich über die öffentliche Würdigung. Darüber hinaus hatte ihn der Preis in den Westen geführt, was er aber nicht weiter genießen konnte. Außer dem Gebäude der Akademie und einem Stück Tiergarten sah er wohl nichts von West-Berlin. Am Abend saß ich mit ihm zusammen, wir plauderten angeregt, ich nehme an über Fontane und unsere Arbeiten. Um 0 Uhr 15, das weiß ich noch ge­nau, brachte ich ihn zum S-Bahnhof Bellevue, wir waren beide nicht mehr ganz nüchtern. Eigentlich hätte er schon zur Grenzschließung um Mitter­nacht in der Friedrichstrasse sein sollen, aber da er nicht mehr zurückkam, müssen ihn die Sicherheitsbeamten noch in die DDR hineingelassen haben. Danach korrespondierten wir. Er schickte mir seine Sonderdrucke, durchweg Aufsätze zu Fontane, und ich schickte ihm die meinigen. Auf sei­ner Wikipedia-Seite lese ich nun, er sei 1964 Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit geworden. An seiner Karriere kann ich diesen Einfluss nicht ablesen. Allerdings endete seine Zeit als Direktor des Instituts für deutsche Literatur an den»Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur« nach der Annahme des Fontane-Preises 1972 durch den West-Berliner»Fronstadtsenat«. Wurde er doch für die An­nahme des Fontane-Preises bestraft? Danach war er nur noch Mitarbeiter am sechsten Band des Kompendiums Geschichte der deutschen Literatur. Er starb allzu früh, schon 1978, mit 55 Jahren. Als ich 1975 einem Ruf auf eine Professur an die Goethe-Universität in Frankfurt folgte, schrieb er mir:»Ich beneide Sie, dass Sie unterrichten dürfen.« Er selbst durfte nicht unterrichten, vielleicht war er nicht zuverlässig genug. Im Nachwort meiner Fontane-Biographie(C. H. Beck 2019) habe ich zwei Autoren gedankt, Peter Demetz und Hans-Heinrich Reuter, deren Un­tersuchungen zu Fontane mich beflügelten. Peter Demetz wurde im Okto­ber 2022 100 Jahre alt. Im Mai diesen Jahres wäre Hans-Heinrich Reuter 100 Jahre alt geworden. Wer sich mit Fontane befasst, wird seine zweibän­dige Biographie immer noch mit Gewinn lesen.