Adolph von Menzels Lesende Dame Busch 9 Im November 2023 konnte es offiziell verkündet werden: Das Theodor-Fontane-Archiv hat das Bildnis Lesende Dame von Adolph von Menzel , eine 11,2 x 7,3 cm große Gouache auf Velinpapier, erworben. Die wertvollste Einzelerwerbung in seiner fast 90-jährigen Geschichte bereichert seitdem unter der Signatur AI 966 die Bild- und Handschriftenbestände des Archivs. Gerade im Vorfeld des Jubiläumsjahres zu Emilie Fontanes 200. Geburtstag am 14. November 2024 ist der Erwerb besonders spektakulär, handelt es sich bei dem Bildnis doch um eine Liebesgabe des berühmten Malers an Emilie Fontane , wie die Widmung auf der Rückseite verrät. Bildprogramm Das kaum postkartengroße Bildnis zeigt eine Dame, auf einem Dampfer sitzend, vornübergebeugt, die sich mit einem aufgespannten Schirm, der gleichzeitig als Spazierstock fungieren kann, wie der Griff an der Schirmspitze verrät, gegen den Wind schützt. Sie ist warm gekleidet, hat ein weißgelb-gemustertes Umschlagtuch mit Fransen umgelegt, trägt einen weiten roten Rock sowie Hut und Handschuhe. Auf dem Schoß hält sie ein dickes, aufgeschlagenes Buch mit rötlichem Einband, in dessen Lektüre sie so vertieft ist, dass sie von der nur angedeuteten Hügellandschaft am Ufer im Hintergrund keine Notiz nimmt. Die durch Schirm und Körperhaltung beschützte, konzentrierte Lektüresituation bildet den eigentlichen Fokus für den Betrachtenden, der hier neben der intimen Situations- auch eine feinteilige Personenschilderung erhält. Im Festhalten des Momentanen und Situationsspezifischen, des Bewegten und Vorübergehenden handelt es sich – gerade in der sehr kleinen Form – um eine für Menzel sehr typische Ausführung. Der Faltenwurf des Rocks, die vom Wind bewegten Fransen des Umschlagtuchs und der durch den Luftzug heruntergedrückte Schirm, der auf Kopf, Nacken und Rücken der lesenden Frau aufliegt, machen die Szene besonders plastisch und lebendig. Der Reiz besteht in der genauen Wiedergabe auf kleinstem Raum. Auch Menzels berühmtes Kinderalbum für seine Neffen und Nichten, entstanden im Zeitraum von 1863–1883, folgt dem Typus in Format und Technik. 1 Auf eine Bleistiftvorzeichnung auf nicht selten getöntem Papier folgt, wie im Fall der Lesenden Dame auch, eine farbige Ausführung in Aquarell und Gouache. Dieser Typus ist von ausgeprägt privater Natur. Diejenigen, die mit solch einer Zeichnung bedacht worden waren, konnten sich als besonders ausgezeichnet begreifen. Sie bekamen nicht nur ein Beispiel von Menzels besonderer Kunstfertigkeit, sondern konnten sich auch dem persönlichen Freundes- und Familienkreis zurechnen. Menzels Gouachen sind durchgehend bildmäßig aufgefasst, d. h., sie legen den Studiencharakter ab und sind bis an den Rand ausgeführt. 2 Menzel hat das Blatt im linken unte-
Heft  
(2024) 117
Seite
9
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